Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
etwa heimlich angehalten?«
Gärtner blickte den Landgrafen verunsichert an. »Mit Verlaub, die Tür trägt das Siegel Eurer … Ich meine, das Siegel der Marquise de Langallerie!«
Der Landgraf lächelte. »Ich scherzte nur.« Er wandte sich an Gärtners Nebenmann. »Und Ihr, Professor Gravesande, was denkt Ihr, wer die Wette gewinnen wird?«
Gravesande zuckte mit den Schultern. »Da ich das Rad des Orffyreus noch niemals selbst besichtigen konnte, enthalte ich mich eines Votums. Bislang jedoch sind noch alle Maschinen, deren Erfinder eine unendliche Bewegung versprochen haben, irgendwann stehen geblieben. Und glaubt man den Thesen des mir gut bekannten Sir Isaac Newton, dann ist es auch nicht möglich, ein solches Rad überhaupt zu erbauen.« Gravesande sprach überlegt und mit sanfter Stimme.
»Wie kann dieser Sir Isaac Newton dies behaupten?«, fragte der Landgraf etwas grantig zurück. »Müsste er nicht alle Möglichkeiten zum Bau einer solchen Maschine selbst erprobt haben, um sich ein solches Urteil zu erlauben?«
Professor Gravesande schüttelte den Kopf. »Eure Durchlaucht, ich bin geehrt von Eurem Interesse an der Mechanik und der Physik. Beide Disziplinen leben aber gerade davon, dass man einige wenige Experimente durchführt und von diesen auf das Ganze schließt. Es sind die Thesen, welche die Wissenschaft ausmachen. Hat man erst einmal einen Grundsatz geschaffen, gilt dieser so lange, bis er widerlegt wird.«
Der Landgraf zog bei Gravesandes Ausführungen die Augenbrauen in die Höhe. »Nun bin ich kein Physiker und auch kein Mann der Wissenschaft«, entgegnete er. »Dennoch klingt dieses Vorgehen für mich töricht. Ist es nicht klüger, stets erst den Hirsch zu erlegen und danach zu zählen, wie viele Enden er hat? Ihr hingegen sagt, wissenschaftlich sei es, zu behaupten, dass es in einem Wald nur Achtender gibt, eben weil man dort niemals einen Hirsch mit einem größeren Geweih gesichtet hat. Und zwar so lange, bis jemand mit einem Zehnender aus dem Wald zurückkehrt. Euer Sir Isaac Newton will der Natur also vorschreiben, wie sie zu sein hat, statt zu beschreiben, wie sie wirklich ist? Wenn das Wissenschaft ist, dann weiß ich, warum ich ihr die Kunst vorziehe!«
»Ich respektiere Eure Ansicht, Eure Durchlaucht«, entgegnete Gravesande höflich. »Die Wissenschaft ist in der Tat ein Gebiet, das sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Ich kann nur dafür plädieren, ihr dennoch eine Chance zu geben, und dies ist auch das Anliegen der Royal Society. Vielleicht ist es Aufgabe der Kunst, zu beschreiben. Aufgabe der Wissenschaft ist es aber, das Beschriebene zu verstehen!«
»Genug mit dem Gerede, wir wollen nun die Tür öffnen!«, unterbrach die Marquise die Unterhaltung. Sie war von hinten zu der kleinen Gruppe gestoßen und hatte Orffyreus unsanft beiseitegeschoben, um sich Platz zu verschaffen. Sie klatschte in die Hände und gab einem der von ihr bestellten Bläser ein Zeichen. Dieser ließ eine Fanfare erklingen, woraufhin es im Saal schlagartig ruhig wurde.
Der Oberhofmarschall trat neben die Marquise und rief mit lauter Stimme: »Nun folgt die Auflösung der Wette! Wir gehen in das Obergeschoss und öffnen die Tür!«
Die Anwesenden klatschten, und einige der Damen stießen verzückte Laute aus. Als ob es einstudiert wäre, bildeten die Gäste eine Gasse zur Treppe, durch die der Landgraf, die Marquise, Orffyreus, Gärtner und Gravesande hintereinander schritten. Kaum hatte Letzterer die Treppe betreten, folgte der neugierige Rest der Gesellschaft.
Der Flur im Obergeschoss füllte sich zügig.
Die Marquise trat vor und deutete auf das Siegel an der Tür. »Ich stelle vor Zeugen fest, dass mein Siegel nicht gebrochen worden ist, sondern sich noch immer in jenem Zustand befindet, wie ich es vor dreißig Tagen hinterlassen habe!«
Gärtner tauschte mit Gravesande einen verstohlenen Blick aus. Nun war es im Flur ganz still.
»Wenn diese Tür geöffnet wird«, fuhr die Marquise fort, »und das Rad sich dreht, schuldet der Modellbaumeister Christian Gärtner aus Dresden dem Inventore Orffyreus einen Betrag in Höhe von zweitausend Talern. Steht das Rad aber still, ist es umgekehrt – und alle Anwesenden haben den unumstößlichen Beweis, dass die Maschine kein Perpetuum mobile ist.« Die Marquise hielt inne, um ihren Worten Wirkung zu verschaffen.
Orffyreus schaute den Landgrafen an, der den Blick augenzwinkernd erwiderte.
»Dann öffnet nun die Tür!«, befahl die
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