Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
schmerzhaft.
Es begann damit, dass die Sekretärin von Herrn Dr. Grünewald in meinem Türrahmen erschien. Die Art, wie sie sprach, ihre roten Bäckchen, der scheue Blick, der versuchte, dem meinigen auszuweichen – all das verriet, was mich erwarten würde. Ich bedankte mich bei ihr besonders höflich, da es mir unangenehm war, dass ich sie in eine solche Lage gebracht hatte. Ich zog mein Jackett über, straffte noch einmal den Knoten meiner Krawatte und nahm mir vor, Haltung zu bewahren.
Langsamen Schrittes ging ich den Flur hinunter, vorbei an den offenen Büros, deren Türen auf Anordnung der Geschäftsführung niemals geschlossen sein durften. Im Vorbeigehen schnappte ich Wortfetzen auf, die in den kleinen Zimmern in Diktiergeräte oder Telefonhörer hineingesprochen wurden. Das schrille Lachen einer Anwaltsgehilfin drang von irgendwo am Ende des Ganges zu mir.
Die Tür des Seniorpartners war geschlossen. Sie war aus schwerem Holz, und ich brauchte erhebliche Kraft, um sie zu öffnen. Nur zentimeterweise gab sie den Blick in das Büro frei, während ich die kalte Türklinke in meiner Hand spürte. Ich erspähte zunächst ein Knie, das von einem teuren Anzugstoff bedeckt war. Einen Moment später wusste ich, dass es dem Namenspartner der Kanzlei, Herrn Prof. Dr. Schrot, gehörte. Als Nächstes erkannte ich eine Gesichtshälfte von Dr. Walkner, dem geschäftsführenden Partner. Dann die Kurzhaarfrisur von Frau Kiesslich, der Büromanagerin; sie galt als eine strenge Vorgesetzte, die von den Rechtsanwaltsgehilfinnen gefürchtet war, deren direkte und ehrliche Art ich jedoch stets geschätzt hatte. Als ich schließlich meinen gesamten Körper durch den Spalt der Tür geschoben hatte, fiel mein Blick auf Dr. Grünewald. Er saß an seinem Schreibtisch, während alle anderen um ihn herumstanden, als hätten sie sich für ein Foto aufgestellt.
Dr. Grünewald deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch. Offensichtlich sollte mir das Privileg zuteilwerden, mich zu setzen. Ohne Eile schritt ich zu dem mit Leder bezogenen Stuhl und bedachte jeden der Anwesenden mit einem Nicken. Es war ganz still in dem Büro, das einen der besten Ausblicke über den Museumshafen bot.
»Sie wissen, warum wir mit Ihnen sprechen wollen?«, fragte Dr. Grünewald, nachdem ich mich gesetzt hatte.
Ich zuckte mit den Schultern. Allzu leicht wollte ich es ihnen auch nicht machen.
Dr. Grünewald hielt ein Schreiben in die Höhe, das vor ihm auf dem Schreibtisch gelegen hatte. »Das ist eine Klage des Unternehmens Söhnke & Söhne, die in der vergangenen Woche eingereicht wurde beim Tribunale di Milano. Sie richtet sich gegen einen unserer Mandanten, Herrn Ansgar Kiesewitz. Einen Mandanten, den Sie in meinem Auftrag betreuen, richtig?« Er hatte mit einer gewissen Schärfe gesprochen und fixierte mich nun über seine schmale Lesebrille hinweg.
Ich rührte mich nicht und sagte auch nichts. Ich stellte mich tot.
»Mit der Klage begehrt das Unternehmen Söhnke & Söhne von dem Mailänder Gericht die Feststellung, dass es ein Patent unseres Mandanten nicht verletzt. Wissen Sie, was dies für unseren Mandanten bedeutet?«
Ich hatte beschlossen, zu den Lebenden zurückzukehren, und nickte. Wenn ich schon untergehen musste, dann richtig.
»Es bedeutet, dass unser Mandant in Deutschland keine Klage mehr gegen das Unternehmen Söhnke & Söhne einreichen kann, weil bereits eine andere Klage zu demselben Sachverhalt innerhalb von Europa, nämlich in Italien, anhängig ist. Jede Klage in Deutschland müsste daher wegen doppelter Rechtshängigkeit sofort abgewiesen werden.« Dr. Grünewald ließ seinen Blick für einen kurzen Moment auf mir ruhen und schaute dann einmal in die Runde. »Und wissen Sie auch, wie lange Verfahren in Italien durchschnittlich dauern?«
Abermals nickte ich. »So lange wie in nahezu keinem anderen Land in Europa. Fünf Jahre oder länger. Und das ist nur die erste Instanz. Mit Berufung sogar bis zu sieben Jahre.«
»Und wissen Sie, was das für unseren Mandanten bedeutet?« Dr. Grünewald hatte Mühe, sich zu beherrschen.
»Dass er in den nächsten sieben Jahren nichts mehr gegen Söhnke & Söhne unternehmen kann, da die Klage in Italien anhängig ist. Das heißt, Söhnke & Söhne hat sieben Jahre Ruhe vor unserem Mandanten und kann das Patent weiterhin nutzen. Und wenn in sieben Jahren in Italien einmal ein Urteil gefällt ist, wird die Nutzungsdauer des Patents bereits abgelaufen sein, und das Unternehmen Söhnke &
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