Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
dass dies ohne Messer oder Schere unmöglich war.
Woher kannte der Mann meinen Namen? War mir jemand vom Gericht aus gefolgt? Ich beschloss, nach Hause zu fahren und das Rätsel zu lösen. Meine Verurteilung hatte ich rascher vergessen als gedacht.
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Schloss Zeitz, 1714
Der Herzog der kursächsischen Sekundogenitur hatte kein wirkliches Interesse an dem Perpetuum mobile.
Orffyreus war auf die Einladung des Gelehrten Leibniz zur sonntäglichen Cour auf Schloss Zeitz erschienen. Die Cour fand jeden Sonntag statt und gehörte gerade wegen ihrer Regelmäßigkeit zu den wichtigsten Festivitäten des Hofes. Sie bot Wilhelm von Sachsen-Zeitz auf bequeme Art und Weise Gelegenheit, den Prunk zu präsentieren, mit dem er sich und seine Residenz umgab. Insbesondere die durchreisenden Gäste konnten das Schloss während der Cour ausführlich besichtigen und ihre Neugierde befriedigen. Zudem tischte der Herzog zur Cour alles auf, was seine Küche und der Weinkeller hergaben. Hatten die Gäste sich an den kulinarischen Köstlichkeiten satt gegessen, wandelten sie in kleinen Gruppen bis in die letzten Winkel der herzoglichen Gemächer, öffneten Schränke und Kommoden und begutachteten alles ausführlich. Als letzten Programmpunkt fanden sich Gastgeber und Gäste am Spieltisch zu einer Partie Whist zusammen, und dort entschied sich, für wen der Tag glücklich enden sollte und für wen nicht. Für den Herzog war entscheidend, dass man über die Cour sprach oder, noch besser, in Reisetagebüchern darüber schrieb – und wenn möglich auch noch mit Bewunderung. Zu diesem Zweck war dem Herzog jemand, der eine Kuriosität wie ein Perpetuum mobile zu präsentieren hatte, sehr willkommen.
Der Herzog hatte sich daher gegen den Vorschlag des werten Leibniz nicht gesträubt, anlässlich der nächsten Cour von einem fremden Wissenschaftler eine sonderbare Apparatur vorführen zu lassen. Mit großem Aufwand hatte Orffyreus das Rad mithilfe seiner Burschen zum Schloss transportiert. Die nach tagelangem Regen aufgeweichten Wege hatten die Fahrt zu einem Wagnis gemacht. Orffyreus hatte den Tross mit hochrotem Gesicht dirigiert, getrieben von der Angst vor einem doppelten Achsbruch: vor dem der Kutsche und dem seines Rades, das sie auf dem Wagen transportierten. Trotz des zänkischen Hofmeisters war es ihnen dann gelungen, das Perpetuum mobile im Innenhof des Schlosses aufzubauen. Der Hofmeister hatte versucht, mit allerlei Restriktionen und Anweisungen das durch die Arbeiten entstandene Chaos möglichst gering zu halten, und die von ihm ungeliebten »Gaukler« behindert, wo er nur konnte.
Erst als Professor Leibniz hinzugekommen war und den Hofmeister sowie dessen Lakaien mit spürbarer Verärgerung verscheucht hatte, konnten Orffyreus und seine Helfer mit ein wenig mehr Ruhe ihrer Arbeit nachgehen. Der alte Leibniz galt seit vielen Jahren als enger Vertrauter des Herzogs und genoss bei dem Hofpersonal und den Untertanen denselben Respekt wie der Herzog selbst. Auf mathematischem Gebiet stritt Leibniz seit geraumer Zeit mit Sir Isaac Newton in London darüber, wer zuerst die Infinitesimalrechnung entwickelt hatte. Zwar verstand niemand außer einigen wenigen Mathematikern, worum es bei diesem Streit überhaupt ging. Die bittere Feindschaft der beiden alten Männer war jedoch legendär und ein beliebtes Thema in den Salons. In Anwesenheit von Leibniz war es allerdings weise, diese Auseinandersetzung nicht zu erwähnen, wollte man sich nicht seinem Unmut aussetzen.
Leibniz zeigte auch heute wieder großes Interesse an Orffyreus’ Rad, was diesen einerseits ehrte, andererseits misstrauisch machte.
Der berühmte Gelehrte schlenderte mit seinem Gehstock während des Aufbaus zwischen den Apparaturen hin und her und beobachtete alles aufmerksam. Orffyreus war währenddessen damit beschäftigt, Leibniz möglichst die Sicht zu verstellen und ihn zur Ablenkung in ein Gespräch zu verwickeln. Als schließlich alles bereit war für die Demonstration, nutzte Leibniz die Gelegenheit, sich noch einmal das Rad erläutern zu lassen. Da der Blick in das Innere wie üblich durch Wachstücher und Bretter versperrt war, überwand sich Orffyreus dazu, den Gelehrten in seinem Beisein mit der Maschine ein wenig experimentieren zu lassen. Dieser stieß dann und wann Bemerkungen wie »Formidable!« oder »Ganz außergewöhnlich!« aus und zeigte sich überaus zufrieden mit der Erfindung. Gerade wollte Orffyreus einschreiten, um Leibniz’ Neugierde zu
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