Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
obwohl der Magen restlos leer war, musste er sich immer wieder übergeben.
Am zweiten Tag war der Bürgermeister persönlich in das Gewölbe hinabgestiegen. Er hatte sich jeweils zwei Tücher um seine Schuhe gebunden, damit diese nicht schmutzig wurden. Der Boden der Zelle war feucht von Urin und eindringendem Wasser. Beides vermischte sich mit Kot, Essensresten und Stroh, das aus den provisorisch hergerichteten Schlafplätzen quoll. Orffyreus lag während der Visite von Wallner apathisch auf dem Boden. Der Bürgermeister beugte sich zunächst über den Gefangenen und hielt dabei mit einer Hand seine Perücke fest, damit diese nicht hinabfiel. Wallner spuckte dem Gefangenen ins Gesicht und trat anschließend auf ihn ein, bis er endgültig wie tot erschien.
Dann war der Bürgermeister fortgegangen, und die nächsten sechs Tage hatte sich niemand mehr um den Eingekerkerten gekümmert. Lediglich einmal am Tag wurde ein Brei aus Hafermehl, Buttermilch und alter Butter in einer Holzschale durch die Gitterstäbe hineingeschoben, den er zunächst unberührt ließ.
Am siebenten Tag konnte Orffyreus sich erstmals aufrichten. Seine zuvor von den Schlägen zugeschwollenen Augen erlaubten ihm nun, den Blick umherschweifen zu lassen. Außer einem schwachen Wimmern aus einer der Nachbarzellen und dem Rascheln der nach Futter suchenden Ratten war es um ihn herum still. Orffyreus tastete seine Rippen ab. Wenigstens schien nichts gebrochen zu sein. Langsam kroch er zu den Gitterstäben und zog sich an ihnen trotz der Fußschellen hoch, bis er stand. Im selben Augenblick wurde ihm erst schwindelig, dann schwarz vor Augen; er geriet ins Wanken, trat mit dem rechten Fuß gegen die Schale mit dem Haferschleim und fiel zu Boden. Am achten Tag gelang es ihm, für einige Minuten zu stehen.
Am Morgen des neunten Tages rissen zwei Aufseher Orffyreus aus dem Schlaf und schleiften ihn, da seine aneinandergeketteten Beine dem schnellen Schritt nicht folgen konnten, an den Armfesseln hinauf ins Obergeschoss. In einem Raum, der den Wachmännern zum Aufenthalt diente, saß der Bürgermeister und schaute belustigt auf den Gefangenen, der mit einem schmerzvollen Stöhnen zu seinen Füßen geworfen wurde.
»Schau an, der stolze Herr Erfinder«, begrüßte der Bürgermeister ihn. »Etwas derangiert schaut er aus.«
Ein Mann, der noch kleiner war als der Bürgermeister und neben ihm stand, lachte laut auf, verstummte aber augenblicklich, als Wallner ihm einen strengen Seitenblick zuwarf. Offenbar handelte es sich um den Sekretär.
Orffyreus hatte seinen Blick auf den Boden vor sich geheftet und ignorierte beide.
»Soll er mich anschauen, weil die Höflichkeit es gebietet!«, rief der Bürgermeister. Daraufhin bückte sich einer der Wärter, packte Orffyreus am Kinn und riss seinen Kopf so weit nach oben, dass das Gesicht dem Bürgermeister zugewandt war.
»So ist es besser!«, bemerkte Wallner zufrieden.
Der Gefangene sah ihn aus hasserfüllten Augen an. »Ich will … mit dem Herzog sprechen …«, krächzte Orffyreus mühsam. Seine Stimme war kaum zu verstehen, da er tagelang nicht geredet hatte.
»Er will mit dem Herzog sprechen!«, wiederholte der Bürgermeister und lachte. Er schaute zu seinem Begleiter, der wie auf Kommando in das Lachen mit einstimmte.
»Der Herzog hat leider keine Zeit, da er sehr mit seinem Geigenspiel beschäftigt ist«, erklärte der Bürgermeister, und wieder brachen alle Anwesenden mit Ausnahme von Orffyreus in höhnisches Gelächter aus.
»Jedoch hat der Herzog mich bereits vor langer Zeit generalermächtigt, gegen Steuerhinterzieher, Ehrverächter und Meuchelmörder mit aller Entschlossenheit vorzugehen. Nichts anderes tue ich in Bezug auf Euch!«
»Der Herzog wird Euch zur Rechenschaft ziehen, wenn er hört, welche Behandlung Ihr mir zukommen lasst!«, rief Orffyreus und spukte verächtlich auf den Boden.
Wieder schallten ihm schadenfrohe Lachsalven entgegen.
»Ich denke nicht, dass der Herzog es so schnell erfahren wird!«, erwiderte Wallner mit einem boshaften Grinsen.
»Ich stehe unter dem Schutz vieler Herrscher. Gnade Euch Gott, wenn sie von meiner Ehefrau erfahren, dass Ihr mich im Kerker eingesperrt habt!«
»Sein Weib Barbara? Das ist ein gutes Stichwort. Gerade weilt sie auf meinem Landsitz. Um sie nicht aufzuregen, habe ich ihr ausrichten lassen, dass ihr Mann nach kurzem Aufenthalt im Zuchthaus nun im Dienste des Herzogs auf einer Erkundungsreise ist, um sein Fehlverhalten wiedergutzumachen.
Weitere Kostenlose Bücher