Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
dürft nicht die Macht der Schmerzen unterschätzen!«
Im selben Moment packte Gärtner mit der linken Hand den verbundenen Kopf und schüttelte ihn hin und her. Wallner schrie auf vor Schmerzen und wollte hochfahren, doch sein Peiniger drückte ihn mit der anderen Hand auf das Bett nieder. Nach einigen Augenblicken ließ Gärtner los. Der Verband färbte sich rot.
»Ihr habt Orffyreus in Eurem Besitz«, zischte Gärtner. »Also spannt ihn auf die Folter. Hängt ihn an den Armen auf oder zieht ihm die Zähne! Bereitet ihm Schmerzen, bis er Euch sein Geheimnis verrät! Vielleicht beginnt Ihr damit, sein Ohr abzuschneiden!« Er erhob sich und ließ Wallner wimmernd auf dem Bett liegen. »Denkt nicht, dass meine Auftraggeber mit Euch zarter umgehen werden. Auf Euch warten in London Qualen, wenn ich Euch denn mit mir nehmen muss. Also wägt Euer Leben gut gegen das Eures widerspenstigen Gefangenen ab!«
»Ich habe verstanden«, entgegnete Wallner schluchzend.
»Gut, sehr gut. In einer Woche komme ich wieder. Bis dahin wünsche ich gute Genesung und viel Erfolg!« Mit eiligen Schritten verließ Gärtner den Raum.
»Lieber sein Leben als das meine«, wimmerte Wallner, während durch den Spalt der geöffneten Tür ein Lichtstrahl auf seinen blutgetränkten Verband fiel.
43
John Adams saß zurückgelehnt im Sessel seines Londoner Büros und zog genüsslich an seiner Zigarre.
Es war eine Cohiba Linea Maduro, die Kiste mit fünfundzwanzig Stück für vierhundertsiebenundsechzig Pfund. Vor ihm auf dem Tisch stand ein Glas, das mit Pappy Van Winkle’s Family Reserve 23 Year Old Kentucky Straight Bourbon Whiskey gefüllt war. Obwohl er Engländer war, bevorzugte er Bourbon. Als junger Mann hatte er am Massachusetts Institute of Technology studiert. Neben dem Abschluss in Physik hatte er die Vorliebe für amerikanischen Whiskey und seine Ehefrau Kathy mit nach Hause gebracht.
Es war kurz nach sechzehn Uhr, und John Adams hatte sich eine Pause redlich verdient. Die letzte Stunde war er mit Vlad Niculescu und dessen Team zusammen gewesen. Niculescu war ein begnadeter rumänischer Kryptologe. Als Offizier beim Departamentul Securităii Statului , dem rumänischen Geheimdienst, hatte er einst sein Handwerk gelernt. Nach der rumänischen Revolution und dem Sturz des Ceauşescu-Regimes war er 1989 erst nach Schweden und von dort nach London geflohen, wo er um politisches Asyl bat. Ein Mitglied der Society hatte Adams auf Niculescu aufmerksam gemacht. Keine zwei Wochen später hatte er ihn zum Leiter der Kryptologie-Abteilung ernannt. Die letzte Woche hatte man dort fieberhaft an der Entschlüsselung des dritten Bandes der Poetischen Apologie gearbeitet.
Auch wenn bei der Operation in Deutschland zuletzt einiges schiefgelaufen war – Adams konnte immerhin stolz darauf sein, wie rasch seine Organisation auf diesen Vorfall reagiert hatte. Keine zwölf Stunden nach der ersten Meldung hatte die Observation der Frau und von Robert Weber begonnen, und keine zweiundsiebzig Stunden danach war man in den Besitz von Abdrücken dieser Platten gekommen. Man hatte es ihnen zwar leicht gemacht, sie waren aber auch hervorragend vorbereitet gewesen: Nachdem diese Julia die Platten an Ericsson in Mainz geschickt hatte, wurde sogleich damit gedruckt. Diese Drucke wurden gescannt und direkt nach London übermittelt. Bevor sie die Platten wieder an die Frau zurückschickten, wurden vier von ihnen aussortiert, auf denen Niculescu nach einer ersten Sichtung des Textes Codierungen vermutete. Kein anderer sollte den Code entschlüsseln können. Die Wohnungen zu verwanzen war eine Sache von Minuten, auch wenn dieser Weber seine Leute beinahe erwischt hätte.
Allerdings war nicht vorhersehbar gewesen, dass die kleine Buchrestauratorin sich von der Spedition Fotografien der konfiszierten Druckvorlagen besorgen würde. Man konnte nicht an alles denken. Aber letztlich war auch er, Adams, eine Art Restaurator: Seine Lebensarbeit bestand aus Prävention und Reparatur. Und diesen kleinen Schönheitsfehler würden sie nun eben reparieren müssen. Während die Kryptologie mit der Entschlüsselung des versteckten Codes begann, machten sich Übersetzer daran, den Text ins Englische zu übersetzen. Auch hier profitierten sie davon, dass er in der Vergangenheit darauf geachtet hatte, die Society multinational zu besetzen. So war es innerhalb kürzester Zeit gelungen, sich das neue Wissen um Orffyreus anzueignen.
Die jüngsten Ereignisse machten eines deutlich:
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