Das Rad der Zeit 1. Das Original
Mondschein befand sie sich
beinahe am Befestigungspfahl des Halteseils, bevor sie ihn sah. Sie fasste nach
dem Seil und erstarrte, als das am nächsten stehende Pferd den Kopf hob und sie
ansah. Sein Zügel war in einer groÃen Schlaufe um das daumenstarke Seil
gebunden, das am Pfahl endete. Ein Wiehern nur. Ihr Herz pochte heftig gegen ihren Brustkorb. Es klang laut
genug, um die Wachen zu alarmieren. Sie wandte den Blick nicht von dem Pferd
und schnitt unterdessen in das Halteseil. Das Pferd warf den Kopf hoch, und ihr
stockte der Atem. Nur ein Wiehern!
Nur ein dünner Hanfstrang blieb
unzertrennt unter ihren tastenden Fingern. Langsam ging sie zum nächsten Seil
hinüber und beobachtete dabei das Pferd, bis sie nicht mehr erkennen konnte, ob
es sie immer noch anblickte oder nicht. Dann atmete sie zitternd ein. Wenn sie
sich alle so verhielten, würde sie wohl kaum durchhalten.
Am nächsten Halteseil jedoch und dann am
übernächsten und am darauf folgenden schliefen die Pferde weiter, selbst als
sie sich in den Daumen schnitt und gerade noch einen Aufschrei unterdrücken
konnte. Sie saugte an der Wunde und sah vorsichtig zurück, woher sie gekommen
war. Da sie sich gegen den Wind bewegt hatte, konnte sie nicht mehr hören, wie
die Wachen sich begrüÃten, aber am richtigen Fleck konnten diese sehr wohl sie hören . Falls sie herkamen
und nachschauten, was das für ein Geräusch gewesen war, würde der Wind
verhindern, dass sie die beiden bemerkte, bis sie direkt vor ihr standen. Höchste Zeit zu gehen. Wenn vier von fünf Pferden wegrennen,
werden sie niemand anderen verfolgen.
Aber sie rührte sich nicht. Sie konnte
sich Lans Augen vorstellen, wenn sie ihm erzählte, was sie getan hatte. Es läge
keine Anschuldigung in diesem Blick, da ihre Gründe ausreichten und er auch
nichts anderes von ihr erwartete. Sie war eine Dorfheilerin und kein
unbesiegbarer Behüter, der sich nahezu unsichtbar machen konnte. Sie reckte das
Kinn vor und ging zum letzten Halteseil. Das erste Pferd daran war Bela.
Diese geduckte, zottelige Gestalt konnte
man nicht verwechseln, und dass hier und jetzt ein anderes Pferd dieser Rasse
stand, das wäre doch ein zu groÃer Zufall gewesen. Plötzlich war sie so froh,
dieses letzte Seil doch nicht ausgelassen zu haben, dass sie zitterte. Ihre
Glieder bebten â sie fürchtete sich davor, das Halteseil zu berühren, doch ihr
Verstand war so klar wie der Weinquellenbach. Welcher von den Jungen sich auch
hier im Lager befinden mochte, Egwene war jedenfalls auch hier. Und wenn sie
jeweils zu zweit auf einem Pferd wegritten, würden einige der Kinder sie
erreichen und fangen, gleichgültig, wie weit die Pferde verstreut waren, und
ein paar von ihnen würden sterben. Sie war so sicher, als lausche sie dem Wind.
Das stieà ihr einen Stachel der Angst in den Bauch; Angst deswegen, weil sie
sich fragte, wieso sie
so sicher war. Das hatte nichts mit dem Wetter oder der Ernte zu tun oder mit
Krankheiten. Warum hat mir Moiraine gesagt, dass ich
die Macht einsetzen kann? Warum konnte sie mich nicht in Ruhe lassen?
Seltsamerweise lieà die Angst ihr Zittern
verschwinden. Mit Händen, so sicher wie beim ZerstoÃen von Kräutern bei sich zu
Hause, zerschnitt sie das Halteseil wie die anderen zuvor. Sie steckte den
Dolch in die Scheide zurück und band Belas Zügel los. Die zottelige Stute
erwachte erschrocken und warf den Kopf hoch, doch Nynaeve streichelte über die
Nase und flüsterte ihr beruhigende Worte ins Ohr. Bela schnaubte leise und
schien zufrieden.
Andere Pferde am gleichen Seil waren
ebenfalls erwacht und sahen sie an. Sie dachte an Mandarb und griff nur zögernd
nach dem nächsten Zügel, aber dieses Pferd wehrte sich nicht gegen die fremde
Hand. Es schien sogar nach dem gleichen Streicheln zu verlangen, das sie Bela
gegönnt hatte. Sie ergriff Belas Zügel ganz fest und wickelte die Zügel des
anderen Pferds um ihr Handgelenk, während sie nervös das Lager beobachtete. Die
blassen Zelte befanden sich nur dreiÃig Schritte entfernt, und sie konnte
sehen, dass sich zwischen den Zelten Männer bewegten. Falls sie bemerkten, dass
die Pferde unruhig wurden, und nachschauten, warum â¦
Verzweifelt wünschte sie sich, dass
Moiraine nicht auf ihre Rückkehr warten würde. Was auch immer die Aes Sedai
vorhatte, sollte sie jetzt tun. Licht, lass es sie
jetzt tun,
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