Das Rad der Zeit 1. Das Original
aber sie war ein Jahr älter als Nynaeve. Elisa sorgte sich oft laut, warum
der Frauenkreis sie noch immer für zu jung hielt. Es fiel schwer, kein Mitleid
für sie zu haben. Vor allem, weil Egwene jetzt schon seit Wochen über Elisas
schwierige Situation nachdachte. Nun, nicht genau über ihr Problem, aber die
Sache hatte sie nachdenklich gemacht.
Neben der Tischreihe unterhielt sich
Calle Coplin mit ein paar jungen Männern von den Bauernhöfen, kicherte und
fummelte an ihren Röcken herum. Sie war immer damit beschäftigt, mit
irgendeinem Mann zu sprechen, dabei sollte sie eigentlich Vlies falten. Aber das war nicht der Grund,
weswegen sie Egwenes Aufmerksamkeit erregte.
»Elisa, du solltest dir nicht so viele
Sorgen machen«, sagte sie leise. »Gut, dann haben Berowyn und Alene eben mit
sechzehn den Zopf geflochten bekommen â¦Â« So wie die
meisten Mädchen, fügte sie in
Gedanken hinzu. Sie verspürte nicht nur Mitgefühl. Elisa hatte die
Angewohnheit, mit Sprichwörtern um sich zu werfen. »Eine verschwendete Stunde
kommt nicht wieder« oder »Ein Lächeln macht die Arbeit leichter«. Und zwar so
lange, bis einem die Zähne schmerzten. Egwene wusste genau, dass ein Lächeln
ihren Eimer nicht mal eine Schöpfkelle leichter machen würde. »â¦Â aber Calle ist
zwanzig, und ihr Namenstag ist in wenigen Monaten. Ihre Haare sind nicht
geflochten, und sieht sie etwa mürrisch aus?«
Elisa arbeitete noch immer an dem Vlies,
das auf dem Tisch vor ihr lag. Aus irgendeinem Grund hielten sich die anderen
Frauen die Hände vor den Mund und versuchten, ihre Heiterkeit zu verbergen. Und
aus irgendeinem Grund verfärbte sich Elisas Gesicht rot. Sogar puterrot.
»Kinder sollten nicht â¦Â«, stotterte sie.
Ihr Gesicht glühte vielleicht wie die Sonne, aber trotz des Stotterns war ihre
Stimme so kalt wie Winterschnee. »Ein Kind, das spricht, wenn ⦠Kinder, die â¦Â«
Jillie Lewin, die ein Jahr jünger als Elisa war und deren schwarzes Haar in
einem dicken Zopf bis unterhalb der Taille hing, sank auf die Knie, weil sie so
angestrengt in ihre Hand prustete. »Verschwinde, Kind!«, fauchte Elisa. »Die
Erwachsenen wollen hier arbeiten!«
Egwene wandte sich mit indigniertem Blick
ab und ging von den Ballentischen fort, und der Eimer schlug bei jedem Schritt
gegen ihr Bein. Da versuchte man, jemandem zu helfen, ihm Mut zu machen, und
was war der Dank? Ich hätte ihr sagen sollen, dass
sie keine Erwachsene ist, dachte sie wütend. Nicht, bis der Frauenkreis ihr erlaubt, sich das Haar zu flechten.
Das hätte ich erwidern sollen.
Der Zorn blieb ihr erhalten, bis der
Eimer wieder leer war, und als sie ihn erneut füllte, nahm sie entschlossen die
Schultern zurück. Wenn man etwas tun wollte, dann musste man es eben einfach
auch tun . So
schnell sie konnte, ging sie direkt zu den Schafpferchen und ignorierte jeden,
der einen Schluck Wasser haben wollte. Das war kein MüÃiggang. Die Jungen
würden auch Wasser brauchen.
Die etwa ein Dutzend Jungen, die an den
Pferchen darauf warteten, die Schafe zu treiben, schenkten ihr überraschte
Blicke, als sie die Kelle anbot, und einige meinten, sie könnten doch etwas
trinken, wenn sie am Fluss waren, aber sie machte weiter. Und sie stellte immer
dieselbe Frage. »Habt ihr Perrin gesehen? Oder Mat? Wo kann ich sie finden?«
Ein paar erzählten ihr, Perrin und Mat
würden Schafe zum Fluss bringen, andere wiederum hatten sie gesehen, wie sie
bereits geschorene Schafe hüteten, aber sie hatte nicht vor loszustürmen, nur
um sie dann doch nicht mehr anzutreffen. SchlieÃlich musterte ein Junge mit
groÃen Augen namens Wil alâSleen von einem der Höfe südlich von Emondsfelde sie
misstrauisch und sagte: »Was willst du von ihnen?« Manche Mädchen waren der
Meinung, dass Wil gut aussah, aber Egwene fand, das seine Ohren komisch
aussahen.
Sie wollte ihm einen energischen Blick
zuwerfen, überlegte es sich dann aber anders. »Ich ⦠ich muss sie etwas
fragen«, sagte sie. Es war nur eine kleine Lüge. Sie hoffte wirklich, dass
einer von ihnen ihr half, die richtigen Antworten auf ein paar Fragen zu
finden. Er schwieg lange Zeit und musterte sie, und sie wartete. Geduld zahlt sich immer aus, pflegte Elisa oft zu sagen. Zu oft. Sie wünschte sich, Elisas Sprichwörter
vergessen zu können. Sie versuchte, es zu vergessen.
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