Das Rad der Zeit 1. Das Original
Narren zu
spielen.« Merkwürdigerweise blickte sie nicht auf ihn herunter, sondern auf
Nynaeve.
»Ich hatte doch bloà einen Schluck Ale, Dorfheilerin«,
winselte er. »Wegen der Hitze. Nur einen Schluck.«
Die Dorfheilerin schnaubte ungläubig,
schaute Nynaeve aber weiterhin wie ein Falke zu. Das war überraschend. Frau
Barran lobte Nynaeve oft öffentlich dafür, dass sie so gelehrig war. Sie hatte
Nynaeve drei Jahre zuvor in die Lehre genommen, nachdem ihre damalige Schülerin
an einer Krankheit gestorben war, die nicht einmal sie hatte heilen können.
Nynaeve war kurz zuvor zur Waise geworden, und viele Leute waren der Meinung,
die Dorfheilerin hätte sie nach dem Tod ihrer Mutter zu ihren Verwandten im
Landesinneren schicken und eine Ãltere zur Schülerin machen sollen. Egwenes
Mutter sagte das nicht, aber Egwene wusste, dass sie genauso dachte.
Als Nynaeve mit dem Verband fertig war,
richtete sich auf und nickte zufrieden. Und zu Egwenes Ãberraschung kniete Frau
Barran nieder und wickelte ihn wieder ab, hob sogar den Brotumschlag, um sich
den Riss in Bilis Oberschenkel anzusehen, bevor sie den Lappen erneut um sein
Bein band. Sie sah tatsächlich ⦠enttäuscht aus. Aber warum? Nynaeve fing an,
mit ihrem Zopf herumzuspielen, an ihm zu ziehen, wie sie es immer tat, wenn sie
nervös war oder Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken wollte, dass sie jetzt
eine erwachsene Frau war.
Wann wird sie damit wohl endlich aufhören?, dachte Egwene. Der Frauenkreis hatte Nynaeve vor fast einem
Jahr erlaubt, ihr Haar zu flechten.
Eine flatternde Bewegung in der Luft
erregte Egwenes Aufmerksamkeit, und sie starrte hin. In den Bäumen um die Wiese
hockten jetzt noch mehr Raben. Dutzende von ihnen, und sie alle beobachteten.
Sie wusste, dass sie das taten. Nicht einer von ihnen unternahm den Versuch,
etwas von den Tischen mit den Speisen zu stehlen. Das war einfach unnatürlich.
Wenn man es genau betrachtete, würdigten die Vögel die Tische mit keinem Blick.
Auch nicht die Tische, an denen die Frauen mit der Wolle arbeiteten. Sie
beobachteten die Jungen, die die Schafe trieben. Und die Männer, die die Schafe
schoren und die Wolle wegbrachten. Und auch die Jungen, die Wasser trugen.
Keines der Mädchen und auch keine der Frauen, nur die Männer und Jungen. Darauf
wäre Egwene jede Wette eingegangen, auch wenn ihre Mutter sagte, dass sie nicht
wetten sollte. Sie öffnete den Mund, um die Dorfheilerin zu fragen, was das zu
bedeuten hatte.
»Hast du nichts zu tun, Egwene?«, sagte
Nynaeve, ohne sich umzudrehen.
Ohne es zu wollen, zuckte Egwene
zusammen. Das tat Nynaeve schon seit dem vergangenen Herbst; sie wusste, dass
Egwene da war, ohne hinsehen zu müssen. Egwene wünschte, sie würde damit
aufhören.
Nynaeve wandte jetzt den Kopf und warf
ihr einen Blick über die Schulter zu. Es war ein energischer Blick von der Art,
die Egwene bei Kenley ausprobiert hatte. Sie musste für Nynaeve nicht springen,
nicht, wie sie es für die Dorfheilerin getan hätte. Nynaeve wollte sich bloÃ
dafür schadlos halten, dass Frau Barran ihre Arbeit angezweifelt hatte. Egwene
zog kurz in Erwägung, ihr zu sagen, dass Frau Ayellin sie wegen eines Kuchens
sprechen wollte. Aber ein Blick in Nynaeves Gesicht lieà sie zu dem Schluss
kommen, dass das vermutlich keine gute Idee war. Davon abgesehen hatte sie
sowieso genau das getan, was sie unbedingt hatte vermeiden wollen, sie hatte
faul herumgestanden und Nynaeve und der Dorfheilerin zugesehen. Sie machte
einen Knicks, so gut das mit dem Eimer in der Hand ging â in die Richtung der Dorfheilerin,
nicht Nynaeves â und wandte sich ab. Dabei humpelte sie nicht, und das nicht,
weil Nynaeve sie ansah. Mit Sicherheit nicht. Und sie beeilte sich auch nicht.
Sie ging bloà wieder an die Arbeit.
Aber sie ging immerhin so schnell, dass
sie, bevor es ihr bewusst wurde, wieder zu den Tischen kam, an denen die Frauen
die Wolle bearbeiteten. Und zwar Angesicht zu Angesicht mit ihrer Schwester
Elisa. Sie faltete das Vlies für die Ballen zusammen, und sie machte es
schlecht. Elisa schien abgelenkt, nahm ihre Schwester nicht mal richtig wahr,
und Egwene kannte den Grund dafür. Elisa war achtzehn, aber ihr taillenlanges
Haar war noch immer mit einem blauen Tuch zusammengebunden. Nicht, dass sie ans
Heiraten gedacht hätte â die meisten Mädchen warteten mindestens ein paar Jahre â,
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