Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
verlassen könnte, dass sie nicht in Panik geraten. Es muss ein paar geben, und ich habe mein Auge auf einen oder zwei geworfen, aber ich muss sehr vorsichtig sein. Ein Fehler ist mehr, als ich mir erlauben kann.«
»Sehr vorsichtig«, stimmte Faile ihr zu. »Hat Sevanna wirklich nach mir geschickt? Oder …«
Aber anscheinend hatte sie es getan, und Faile beeilte sich, zu ihrem Zelt zu kommen – schneller, als ihr lieb war; es war ärgerlich, sofort zu springen, nur um Sevannas Missfallen zu entgehen –, aber niemand schenkte ihr auch nur die geringste Beachtung, als sie eintrat und neben dem Eingang stehen blieb.
Sevannas Zelt war keine der niedrigen Aiel-Behausungen, sondern ein Wohnzelt aus roter Plane, das groß genug war, um zwei Zeltstangen zu benötigen, und es wurde von fast einem Dutzend Spiegelstehlampen erhellt. Zwei vergoldete Kohlebecken sorgten für etwas Wärme und gaben dünne Rauchschwaden von sich, die durch die Rauchlöcher im Dach abzogen, aber drinnen war es kaum wärmer als draußen. Kostbare Teppiche bildeten einen Boden aus Rot, Grün und Blau, die Motive waren tairenische Labyrinthe und Blumen und Tiere – der Schnee war sorgfältig abgetragen worden, bevor man sie ausgelegt hatte. Überall auf den Teppichen lagen quastenverzierte Seidenkissen verstreut, und in einer Ecke stand ein Stuhl mit aufwendigen Schnitzereien und massiv vergoldet. Faile hatte noch nie jemanden dort sitzen gesehen, aber sie wusste, dass der Stuhl die Gegenwart des Clanhäuptlings heraufbeschwören sollte. Sie war zufrieden damit, mit gesenktem Blick dort zu stehen. An der einen Zeltwand standen drei weitere Gai’shain mit goldenen Gürteln und Kragen, einer davon war ein bärtiger Mann. Sie waren da für den Fall, dass jemand bedient werden musste. Sevanna war da, Therava auch.
Sevanna war eine hochgewachsene Frau, etwas größer als Faile, mit hellgrünen Augen und Haar wie gesponnenem Gold. Man hätte sie als schön bezeichnen können, wäre da nicht dieser Zug von Habsucht um ihre wulstigen Lippen gewesen. Abgesehen von ihren Augen und dem Haar und dem von der Sonne verbrannten Gesicht schien nur wenig an ihr zu einer Aiel zu passen. Ihre Bluse war aus weißer Seide, ihr Rock war ein Reitrock und ebenfalls aus Seide, wenn auch dunkelgrau, und das in Schläfenhöhe gebundene Tuch leuchtete blutrot und golden. Es war ebenfalls aus Seide. Rote Stiefel lugten unter den Rocksäumen hervor, wenn sie sich bewegte. An jedem Finger steckte ein juwelengeschmückter Ring, und ihre Halsketten und Armbänder aus dicken Perlen und Diamanten und taubeneigroßen Rubinen und Saphiren und Smaragden und Feuertropfen ließen alles, was Someryn trug, lächerlich erscheinen. Nicht ein Stück war von Aiel gefertigt. Therava hingegen war die personifizierte Aiel, dunkle Wolle und weiße Aglode , die Hände ohne Schmuck und alle Halsketten und Armreifen aus Gold und Elfenbein. Sie war größer als die meisten Männer, und ihr dunkelrotes Haar war mit weißen Strähnen durchsetzt; sie war ein blauäugiger Adler, der Sevanna eigentlich wie ein verkrüppeltes Lamm hätte verschlingen müssen. Faile würde eher Sevanna zehnmal verärgern als Therava auch nur einmal, aber die beiden Frauen standen sich an einem mit Elfenbein- und Türkisintarsien verzierten Tisch gegenüber, und Sevanna erwiderte jeden von Theravas wütenden Blicken mit der gleichen Intensität.
»Was heute geschieht, bedeutet Gefahr«, sagte Therava mit der Miene von jemandem, der es leid war, sich ständig zu wiederholen. Und vielleicht bereit war, das Messer aus dem Gürtel zu ziehen. Sie strich über den Griff, während sie sprach, und Faile glaubte nicht, dass das in Gedanken geschah. »Wir müssen so viel Abstand wie nur möglich zwischen uns und dem bringen, was auch immer es ist, und zwar so schnell wir können. Im Osten gibt es Berge. Sobald wir sie erreicht haben, sind wir in Sicherheit, bis wir alle Septen wieder vereint haben. Septen, die nie getrennt worden wären, wärt Ihr nicht so überzeugt von Euch gewesen, Sevanna.«
»Ihr sprecht von Sicherheit?« Sevanna lachte. »Seid Ihr so alt und zahnlos geworden, dass Ihr mit Brot und Milch gefüttert werden müsst? Denkt doch mal nach. Eure Berge sind wie weit entfernt? Wie viele Tage oder Wochen, die wir durch diesen verfluchten Schnee stapfen müssen?« Sie zeigte auf den Tisch zwischen ihnen, auf dem eine Karte ausgebreitet lag, die man mit zwei schweren Goldschalen und einem schweren dreigeteilten
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