Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
einander manchmal widerspiegelten, aber Aviendha fand das alles furchtbar komisch. Ihr Sinn für Humor konnte manchmal sehr derb sein.
»Eines Tages werdet ihr beiden die andere noch zum Schmelzen bringen«, sagte Aviendha lachend. »Aber den Scherz hast du ja bereits gemacht, Birgitte Trahelion.« Birgitte schaute sie finster an, die Verlegenheit in dem Bund wurde von plötzlichem Aufruhr zermalmt, und sie erwiderte den Blick mit einer solchen Unschuld, dass Elayne befürchtete, ihr würden gleich die Augen aus dem Kopf fallen.
Es war besser, jetzt keine Fragen zu stellen. Wenn du Fragen stellst, pflegte Lini zu sagen, dann musst du dir auch die Antworten anhören, ob sie dir gefallen oder nicht. Sie wollte es nicht hören, nicht, wenn Rasoria die Fliesen zu ihren Stiefelspitzen betrachtete und die restlichen Gardistinnen im Zimmer niemandem weismachen konnten, dass sie nicht zuhörten. Elayne hatte sich nie klargemacht, wie kostbar Privatsphäre doch war, bis sie sie völlig verloren hatte. Jedenfalls so gut wie, was das anging. »Ich werde jetzt mein Bad beenden«, sagte sie ruhig. Blut und Asche, was für einen Streich hatte Birgitte ihr gespielt? Etwas, das sie … schmelzen ließ? Es konnte nicht sehr wirkungsvoll gewesen sein, wenn sie noch immer nicht wusste, worum es dabei gegangen war.
Unglücklicherweise war das Badewasser kalt geworden. Zumindest lauwarm. Nicht gerade etwas, in das sie sich hineinsetzen wollte. Sich noch eine Zeit lang im Wasser rekeln zu können wäre wunderbar gewesen, aber nicht, wenn sie dafür hätte warten müssen, dass die Wannen Eimer für Eimer geleert wurden und man neues Wasser brachte. Mittlerweile musste der ganze Palast von ihrer Rückkehr wissen, und die Haushofmeisterin und der Erste Sekretär würden ungeduldig mit ihren täglichen Berichten warten. Täglich, wenn sie in der Stadt war, und doppelt ungeduldig, weil sie einen Tag lang weg gewesen war. Wenn man ein Land regieren wollte, dann kam die Pflicht vor dem Vergnügen. Und das galt doppelt, wenn man versuchte, den Thron zu erringen.
Aviendha zog das Handtuch vom Kopf und schüttelte ihr Haar aus, offensichtlich erleichtert, dass sie nicht wieder ins Wasser steigen musste. Sie ging auf das Ankleidezimmer zu, streifte unterwegs die Robe ab und war fast schon vollständig bekleidet, als Elayne und die Zofen eintraten. Sie ließ Naris ohne allzu großen gemurmelten Protest den Rest erledigen, obwohl kaum etwas übrig blieb, außer in den schweren Wollrock zu steigen. Aber sie schlug die Hände der Zofe weg und verschnürte die weichen, kniehohen Stiefel selbst.
Für Elayne war das nicht so einfach. Solange kein Notfall drohte, fühlte sich Essande zurückgesetzt, wenn sie nicht vorher ihre Garderobe besprachen. Mit eng vertrauten Dienern galt es immer, ein zerbrechliches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Ausnahmslos jede Leibdienerin kannte mehr Geheimnisse von einem, als man glaubte, und sie erlebte einen in den schlimmsten Augenblicken, wenn man schlechter Laune oder müde war, wenn man in sein Kissen weinte, bei Wutausbrüchen und wenn man schmollte. Es musste ein beidseitiger Respekt vorhanden sein, oder die Situation wurde unmöglich. Also saß Aviendha auf einer Polsterbank und ließ zu, dass Naris ihr das Haar auskämmte, bevor Elayne sich für ein schlichtes graues Gewand aus feiner Wolle entschied, dessen hoher Kragen und Ärmel mit grünen Stickereien verziert und dessen Säume mit schwarzem Fuchspelz abgesetzt waren. Es lag nicht so sehr daran, dass sie sich nicht entscheiden konnte, sondern dass Essande mit Perlen oder Saphiren oder Feuertropfen bestickte Seidengewänder vorlegte, von denen jedes noch aufwendiger verziert war als das vorherige. Obwohl ihr der Thron noch nicht gehörte, wollte Essande sie jeden Tag wie eine Königin kleiden, die Audienz hielt.
Das hatte in gewisser Weise Sinn gemacht, als jeden Tag Kaufmannsdelegationen gekommen waren, um Petitionen einzureichen oder ihr ihren Respekt zu erweisen, vor allem Ausländer, die hofften, dass die Auseinandersetzungen in Andor nicht ihre Geschäfte behindern würden. Das alte Sprichwort, dass derjenige, der Caemlyn beherrschte, auch Andor beherrschte, entsprach nicht unbedingt der Wahrheit, und in den Augen der Kaufleute waren ihre Chancen, den Thron tatsächlich zu besteigen, nach Arymillas Aufmarsch vor den Toren deutlich gesunken. Sie konnten die auf jeder Seite versammelten Häuser so genau zählen wie ihr Geld. Selbst andoranische
Weitere Kostenlose Bücher