Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
über die Geschichten von Heeren der Grenzländer in der Nähe von Neu-Braem besorgt, Hunderte von Meilen von der Großen Fäulnis entfernt, die sie eigentlich bewachen sollten. Ihr Bericht drehte sich nur um die Grenzländer, so als müsste man etwas unternehmen und zwar sofort. Nicht, dass sie Vorschläge unterbreitet oder auch nur angedeutet hätten, aber die hastige, enge Schrift, die sich spinnenhaft und drängend über die Seiten zog, verriet Ungeduld.
Egwene kannte die Wahrheit über Elaynes Situation, aber seit Siuan enthüllt hatte, warum sie nicht loseilten, um die Dinge zu regeln, war sie damit zufrieden, die Grünen im Moment ohnmächtig mit den Zähnen knirschen zu lassen. Laut ihrem Agenten in Neu-Braem wurden die Grenzländer von fünfzig oder hundert Schwestern begleitet, vielleicht waren es sogar zweihundert. Die Zahl der Aes Sedai mochte unsicher sein, und natürlich war sie weit übertrieben, aber ihre Anwesenheit war eine Tatsache, die den Grünen bekannt sein musste, auch wenn sie sie in den Berichten an Egwene nie erwähnten. Keine Ajah hatte diese Schwestern in ihren Berichten erwähnt. Am Ende machte es aber kaum einen Unterschied, ob es zweihundert Schwestern oder zwei waren. Niemand konnte mit Gewissheit sagen, um wen es sich bei diesen Schwestern handelte oder warum sie dort waren, aber jedes Nachhaken wäre mit Sicherheit als Einmischung aufgefasst worden. Es erschien merkwürdig, dass sie möglicherweise einen Krieg zwischen den Aes Sedai ausfechten würden und trotzdem von den Verhaltensregeln abgehalten wurden, sich in die Angelegenheiten anderer Schwestern einzumischen, aber glücklicherweise war es so.
»Immerhin schlagen sie nicht vor, jemanden nach Caemlyn zu schicken.« Egwene blinzelte; die winzige Schrift hatte die Schmerzen hinter ihren Augen stechender gemacht.
Siuan schnaubte verächtlich. »Warum sollten sie auch? Soweit sie wissen, lässt sich Elayne von Merilille und Vandene führen, also sind sie davon überzeugt, ihre Aes Sedai-Königin zu bekommen, und außerdem noch eine Grüne. Und solange sich die Asha’man aus Caemlyn heraushalten, will niemand das Risiko eingehen, sie aufzuscheuchen. So wie die Dinge stehen, könnten wir genauso gut versuchen, Wespenquallen mit bloßen Händen aus dem Wasser zu ziehen, und das wissen sogar die Grünen. Aber das wird manche Schwestern, egal von welcher Ajah, nicht davon abhalten, nach Caemlyn zu reisen. Nur ein verstohlener Besuch, um nach den eigenen Augen-und-Ohren zu sehen. Oder um sich ein Kleid schneidern zu lassen oder einen Sattel zu kaufen oder was auch immer.«
» Sogar die Grünen?«, fragte Egwene scharf. Jedermann war der Meinung, dass die Braunen so waren und auch die Weißen, selbst wenn das sichtlich falsch war, aber manchmal regte es sie auf, wenn sie hörte, wie die Grünen alle in einen Topf geworfen wurden, als würde es sich um ein und dieselbe Frau handeln. Vielleicht sah sie sich als Grüne oder zumindest als ehemalige, was albern war. Die Amyrlin entstammte allen Ajahs und keiner – sie richtete die Stola auf ihren Schultern und rief sich diese Tatsache ins Bewusstsein, die die sieben Streifen symbolisierten –, und sie hatte nie einer Ajah angehört. Aber sie fühlte eine gewisse … nicht Sympathie, das war ein zu starkes Wort, eine Art von Übereinstimmung zwischen ihr und den Grünen Schwestern. »Von wie vielen Schwestern kennen wir den Aufenthaltsort nicht, Siuan? Als Zirkel verbunden, können selbst die Schwächsten an jeden Ort Reisen, an den sie wollen, und ich wünschte, ich wüsste, wo sie sind.«
Einen Augenblick lang dachte Siuan angestrengt nach. »Ich glaube, es müssten etwa zwanzig sein«, sagte sie schließlich. »Vielleicht ein paar weniger. Die Zahl verändert sich von Tag zu Tag. Eigentlich führt niemand Buch. Das würde sich keine Schwester gefallen lassen.« Sie beugte sich vor und achtete diesmal auf ihr Gleichgewicht, als der Hocker schwankte. »Bis jetzt habt Ihr die Dinge wunderbar jongliert, Mutter, aber das kann nicht immer so weitergehen. Irgendwann wird der Saal alles herausfinden, was in Caemlyn vor sich geht. Sie könnten vielleicht akzeptieren, dass man die seanchanischen Gefangenen geheim hält – das wird man als Vandenes oder Merililles Angelegenheit betrachten –, aber sie wissen bereits, dass das Meervolk in Caemlyn ist, und früher oder später werden sie von dem Handel mit ihm erfahren. Und von den Kusinen, wenn nicht sogar von Euren Plänen für sie.«
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