Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
kennen, und wenn du nicht auf die eine Weise gewinnen kannst, dann findest du eben eine andere.
Am nächsten Abend kehrte er zu dem purpurnen Wagen zurück, diesmal allein, und sobald Olver seine Lektion in Steine von Tuon erhalten hatte, drängte sich Mat in ein Spiel hinein. Als er das erste Mal der schwarzen kleinen Frau vor dem Spielfeld auf dem Boden gegenübersaß, war er sich nicht sicher, ob er gewinnen oder verlieren sollte. Manche Frauen gewannen gern jedes Mal, aber der Mann durfte es ihr nicht zu leicht machen. Manche ließen den Mann gern gewinnen, oder zumindest öfters, als er verlor. Für ihn machte nichts davon Sinn – er gewann gern, und je leichter, desto besser –, aber so war es nun einmal. Während er zauderte, nahm Tuon die Sache selbst in die Hände. In der Mitte des Spiels erkannte er, dass sie ihn in eine Falle gelockt hatte, aus der er nicht herauskommen konnte. Ihre weißen Steine schnitten seinen schwarzen überall den Weg ab. Es war ein sauberer und nachhaltiger Sieg für sie.
»Ihr spielt nicht sehr gut, Spielzeug«, sagte sie spöttisch. Trotz des Tonfalls betrachteten ihre großen, feuchten Augen ihn kühl, wogen ab und nahmen Maß. In solchen Augen konnte ein Mann ertrinken.
Er lächelte und verabschiedete sich, bevor der Gedanke aufkam, ihn hinauszuschmeißen. Strategie. An die Zukunft denken. Am nächsten Abend brachte er eine kleine rote Papierblume mit, die eine der Zirkusnäherinnen gemacht hatte. Und präsentierte sie einer überraschten Selucia. Setalle hob die Brauen, und sogar Tuon schien verblüfft. Taktik. Bring deinen Gegner aus dem Gleichgewicht. Wenn man so darüber nachdachte, bestand zwischen Frauen und Schlachten kein großer Unterschied. Beide vernebelten einem Mann die Sicht und konnten ihn umbringen, ohne sich groß anstrengen zu müssen. Wenn er unvorsichtig war.
Er besuchte den Wagen jeden Abend unter Setalles und Selucias wachsamen Blicken für eine Partie Stein, und er konzentrierte sich auf das mit kreuzenden Linien durchzogene Spielfeld. Tuon war sehr gut, und es geschah viel zu oft, dass er ihr zusah, wie sie ihre Steine setzte und dabei ihre Finger auf seltsam anmutige Weise nach hinten bog. Sie war daran gewöhnt, außerordentlich lange Nägel zu haben und darauf zu achten, sie nicht zu zerbrechen. Ihre Augen waren auch eine Gefahr. Bei einer Partie Steine brauchte man genau wie in der Schlacht einen klaren Kopf, und ihr Blick schien tief in seinen Verstand einzudringen. Aber er richtete seine Aufmerksamkeit auf das Spiel und schaffte es, von den nächsten sieben vier zu gewinnen. Tuon war zufrieden, wenn sie gewann, und entschlossen, wenn sie verlor, aber es gab keinen der Wutanfälle, die er befürchtet hatte, und auch keine bissigen Bemerkungen, wenn man davon absah, dass sie auch weiterhin darauf bestand, ihn Spielzeug zu nennen. Es gab auch nicht viel von dieser eiskalten, majestätischen Hochmut, jedenfalls nicht, solange sie spielten. Sie genoss einfach das Spiel, lachte triumphierend, wenn sie ihn in eine Falle gelockt hatte, und lachte entzückt, wenn er mit einem klugen Zug entkam. Sie schien eine ganz andere Frau zu sein, sobald sie sich im Spiel verlor.
Der Papierblüte folgte eine aus blauen Leinen genähte Blume, und zwei Tage später eine rosafarbene Seidenblume von der Größe einer Frauenhand. Beide wurden Selucia übergeben. Ihre blauen Augen verengten sich einen Augenblick lang misstrauisch, als sie auf ihm ruhten, aber Tuon meinte nur, sie könnte die Blumen behalten, und sie verstaute sie sorgfältig, eingeschlagen in ein Leinentuch. Er ließ drei Tage vergehen, ohne ein Geschenk mitzubringen, dann brachte er einen kleinen Strauß roter Rosen aus Seide, komplett mit kurzen Stängeln und glänzenden Blättern, die so real wie die Natur selbst aussahen, nur eben noch perfekter. An dem Tag, an dem er die erste Papierblume gekauft hatte, hatte er die Näherin gebeten, sie anzufertigen.
Selucia machte einen Schritt auf ihn zu und streckte die Hände aus, um die Rosen mit spöttisch verzogener Unterlippe entgegenzunehmen, aber er setzte sich und legte die Blumen neben das Spielbrett, in Tuons Nähe. Er sagte nichts, ließ sie einfach dort liegen. Sie schenkte ihnen nicht mal einen Blick. Er griff in die kleinen Lederbeutel, in denen die Steine aufbewahrt wurden, nahm je einen heraus und mischte sie in den Händen, bis selbst er nicht mehr genau wusste, welche sich wo befanden, dann streckte er ihr die geschlossenen Fäuste
Weitere Kostenlose Bücher