Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
sprangen. »Habt Ihr vergessen, wie man einer Aes Sedai höflich gegenübertritt, Kind?«, fragte sie scharf.
Emara wurde totenblass – schließlich hatte die Amyrlin einen gewissen Ruf –, und machte hastig einen noch tieferen Knicks für Theodrin, die ihn mit einem hölzernen Nicken zur Kenntnis nahm, bevor sie wesentlich schneller aus dem Zelt rauschte, als sie es betreten hatte.
Was Emara dann mit breitem illianischem Akzent, der durch ihre Nervosität noch verstärkt wurde, hervorstammelte, war eine Bitte Lelaines, sich mit der Amyrlin treffen zu können. Romanda und Lelaine waren früher wesentlich weniger förmlich gewesen, sie waren unangekündigt gekommen, wann immer sie wollten, aber die Kriegserklärung an Elaida hatte vieles verändert. Nicht alles, aber genug. Egwene gab Lelaine die gleiche Antwort wie zuvor Romanda, wenn auch in deutlich kühlerem Ton, und Emara fiel beinahe über die eigenen Füße, als sie ihren Knicks machte und dann regelrecht aus dem Zelt hinausstürmte. Noch ein Nagel, der die Legende von Egwene al’Vere festschlug, die Amyrlin, die Sereille Bagand wie ein Federkissen aussehen ließ.
Sobald die Aufgenommene verschwunden war, hob Egwene die Hand und sah das, was sie verdeckt hatte, stirnrunzelnd an. Das zusammengefaltete Stück Papier, das Theodrin auf dem Tisch platziert hatte, während sie ihren Ring geküsst hatte. Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich, als sie es auseinanderfaltete. Die Schrift, die das kleine Blatt bedeckte, war flüssig und präzise, doch an einer Ecke war ein Tintenfleck. Theodrin war sehr ordentlich. Vielleicht wollte sie die allgemeine Ansicht über die Braunen bestätigen.
Romanda hat zwei Schwestern nach Cairhien Reisen lassen, um eine Geschichte zu untersuchen, die die Sitzenden der Gelben in Aufregung versetzt hat. Ich kenne das Gerücht nicht, Mutter, aber ich werde es herausfinden. Ich habe gehört, dass eine von ihnen Nynaeve erwähnt hat, aber nicht so, als wäre sie in Cairhien, sondern dass das Gerücht mit ihr zu tun hat.
Die dämliche Frau hatte sogar mit ihrem Namen unterschrieben!
»Was ist das, Mutter?«
Egwene zuckte überrascht zusammen und erwischte gerade noch das Stuhlbein, bevor sie auf dem Boden landete. Sie richtete ihre finstere Miene auf Siuan, die mit ihrer blau gefransten Stola im Zelteingang stand und ihre Ledermappe an die Brust gedrückt hielt. Egwenes Überraschung ließ sie leicht die Brauen heben.
»Hier«, sagte Egwene gereizt und hielt ihr das Blatt hin. Das war nicht der Augenblick, um in irgendeiner Weise nervös zu reagieren! »Ihr habt von Kairen gehört?« Natürlich musste sie das, aber Egwene sagte trotzdem: »Habt Ihr die nötigen Veränderungen getroffen?« Nötige Veränderungen. Beim Licht, sie klang so aufgeblasen wie Romanda. Sie war nervös. Erst im letzten Augenblick dachte sie daran, Saidar zu umarmen und einen Abwehrschild gegen Lauscher zu weben; erst nachdem der Schild an Ort und Stelle war, fiel ihr ein, dass der heutige Tag nicht unbedingt den besten Zeitpunkt darstellte, jemanden auf die Idee kommen zu lassen, dass sie mit Siuan private Dinge zu besprechen hatte.
Siuan war nicht nervös. Sie hatte Stürme überstanden. Und sich vom Ertrinken erholt, würde so mancher sagen. Für sie war es heute nur ein bisschen windig. »Je weniger Zeit Bode hat, darüber nachzudenken, desto geringer die Möglichkeit, dass sie in Panik gerät.« So ruhig wie ein Teich. Nicht einmal zwei ermordete Schwestern konnten Siuan aus dem Gleichgewicht bringen. Oder eine von ihnen durch eine Frau zu ersetzen, die erst wenige Monate Novizin war.
Aber ihre Stirn legte sich in Falten, als sie die Mitteilung las. »Zuerst taucht Faolain unter«, knurrte sie das Blatt an, »und jetzt bringt Theodrin das Euch statt mir. Das dumme Mädchen hat weniger Verstand als ein Fischervogel! Man könnte meinen, sie will, dass jemand herausfindet, dass sie Romanda für Euch im Auge behält.« Im Auge behalten. Eine höfliche Umschreibung für Spionin. Sie beide waren in Euphemismen geübt. Für eine Aes Sedai war das selbstverständlich. Heute fand Egwene Euphemismen unerträglich.
»Vielleicht will sie ja entdeckt werden. Vielleicht hat sie es satt, dass Romanda ihr vorschreibt, was sie tun soll, was sie sagen soll, was sie denken soll. Ich hatte eine Aufgenommene hier, die Theodrins Stola spöttisch angesehen hat, Siuan.«
Siuan winkte ab. »Romanda versucht jedem vorzuschreiben, was er tun soll. Und denken soll. Was den Rest
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