Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
ist.«
Aviendha sah auf ihre Arme herab, entdeckte die Ascheflocken von dem Brand. Ihre Kleidung war nass und schmutzig, und sie vermutete, dass ihr Gesicht genauso dreckig war. Ihre Arme schmerzten vom Steineschleppen. Sobald sie sich ihrer Erschöpfung bewusst wurde, schien sie wie ein Windsturm über sie hereinzubrechen. Sie biss die Zähne zusammen und zwang sich, aufrecht stehen zu bleiben. Sie würde sich nicht dadurch entehren, dass sie zusammenbrach! Aber sie wandte sich wie befohlen ab, um zu gehen.
»Oh, eines noch, Aviendha«, rief Melaine. »Wir reden morgen über deine Strafe.«
Entsetzt drehte sie sich um.
»Weil du mit den Steinen nicht fertig geworden bist«, sagte Melaine und betrachtete wieder die Zerstörungen. »Und weil du nicht schnell genug lernst. Geh.«
Aviendha seufzte. Eine weitere Runde Fragen, eine weitere unverdiente Strafe. Es gab also einen Zusammenhang. Aber wie sah er aus?
Im Moment war sie zu erschöpft, um darüber nachzudenken. Sie wollte bloß noch in ihr Bett und ertappte sich dabei, wie sie verräterischerweise an die weiche, luxuriöse Matratze im Palast von Caemlyn dachte. Sie verbannte diese Gedanken. Wenn man so tief schlief, an Kissen und weiche Decken geschmiegt, dann war man viel zu entspannt, um aufzuwachen, wenn jemand einen in der Nacht ermorden wollte! Wie hatte sie sich nur von Elayne dazu überreden lassen können, in diesen weichgefederten Todesfallen zu schlafen?
Als sie diesen Gedanken verdrängte, kam ihr noch ein anderer – ein verräterischer. Der Gedanke an Rand al’Thor, der sich in seinem Zimmer ausruhte. Sie konnte zu ihm gehen …
Nein! Nicht, bevor sie ihre Ehre zurückgewonnen hatte. Sie würde nicht als Bittstellerin zu ihm gehen. Sie würde als eine Frau mit Ehre zu ihm gehen. Vorausgesetzt, sie würde je entdecken, was sie falsch machte.
Sie schüttelte den Kopf und marschierte zu dem Aiel-Lager auf der anderen Seite des Rasens.
KAPITEL 12
Unerwartete Begegnungen
G edankenverloren schritt Egwene durch die höhlenartigen Korridore der Weißen Burg. Ihre beiden Roten Kerkerwärterinnen folgten ihr. Sie erschienen dieser Tage etwas mürrisch. Elaida befahl ihnen immer häufiger, bei Egwene zu bleiben; auch wenn die Personen wechselten, waren stets zwei bei ihr. Und doch hatte es beinahe den Anschein, als könnten sie spüren, dass Egwene sie als Diener und nicht als Wächter betrachtete.
Es war mehr als einen Monat her, seit Siuan ihr in Tel’aran’rhiod die verstörenden Neuigkeiten mitgeteilt hatte, aber noch immer dachte sie darüber nach. Die Geschehnisse waren eine Mahnung, dass die Welt zerbrach. In dieser Zeit hätte die Weiße Burg eine Quelle der Stabilität sein sollen. Stattdessen hatte sie sich entzweit, während Rand al’Thors Männer Schwestern den Bund aufzwangen. Wie hatte Rand nur so etwas zulassen können? Offensichtlich war nur noch wenig von dem Jungen übrig, mit dem sie zusammen aufgewachsen war. Natürlich war auch nur noch wenig von der jugendlichen Egwene übrig. Lange vorbei die Tage, in denen sie scheinbar dazu bestimmt gewesen waren, zu heiraten und auf einem kleinen Bauernhof in den Zwei Flüssen zu leben.
Seltsamerweise brachte sie dieser Gedanke auf Gawyn. Wie lange war es her, dass sie ihn zuletzt gesehen und in Cairhien Küsse gestohlen hatte? Wo war er jetzt? War er in Sicherheit?
Konzentriere dich, befahl sie sich. Wische zuerst den Boden fertig, an dem du gerade arbeitest, bevor du mit dem Rest des Hauses anfängst. Gawyn konnte auf sich selbst aufpassen; darin war er schon in der Vergangenheit kompetent gewesen. In manchen Fällen zu kompetent.
Siuan und die anderen würden sich um die Sache mit den Asha’man kümmern. Die anderen Neuigkeiten waren viel beunruhigender. Eine der Verlorenen im Lager? Eine Frau, die Saidin statt Saidar lenkte? Einst hätte sie das für unmöglich gehalten. Aber in den Sälen der Weißen Burg waren ihr Geister begegnet, und die Korridore schienen sich täglich zu verändern. Das war nur ein weiteres Zeichen.
Sie fröstelte. Halima hatte sie angefasst, hatte angeblich ihre Kopfschmerzen wegmassiert. Diese Kopfschmerzen waren nach ihrer Gefangennahme verschwunden; warum war ihr nie die Idee gekommen, dass Halima überhaupt erst für sie verantwortlich war? Was hatte die Frau sonst noch geplant? Über welche verborgenen Knoten würden die Aes Sedai stolpern, welche Fallen hatte sie gestellt?
Ein Stück des Bodens nach dem anderen. Mach sauber, wo du rankommst,
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