Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
»Willst du essen?«
»Ich finde jeden, den du je geliebt hast«, stieß die Verlorene mit Tränen in den Augen hervor. »Ich werde sie sich einander gegenseitig füttern lassen, während du zusiehst. Ich …«
Cadsuane schnalzte nur mit der Zunge und machte weiter. Die kleine Menschenmenge in dem Zimmer sah in erstauntem Schweigen zu. Semirhage fing an zu weinen – nicht vor Schmerzen, sondern wegen der Demütigung. Das war der Schlüssel. Man konnte Semirhage nicht durch Schmerzen oder Versprechungen besiegen – aber ihren Ruf zu zerstören, das würde in ihrer Vorstellung viel schlimmer sein als jede andere Strafe. Cadsuane hätte genauso empfunden.
Nach ein paar weiteren Minuten senkte sie die Hand und löste die Gewebe, die Semirhage reglos hielten. »Willst du essen?«
»Ich …«
Sie hob die Hand, und Semirhage sprang ihr förmlich vom Schoß und warf sich zu Boden, aß die Bohnen.
»Sie ist ein Mensch«, sagte Cadsuane und sah die anderen an. »Nur ein Mensch, so wie jeder von uns. Sie hat Geheimnisse, aber jeder Junge kann ein Geheimnis haben, das er nicht verraten will. Vergesst das nicht.«
Sie stand auf und ging zur Tür. Neben Sarene, die fasziniert zusah, wie die Verlorene die Bohnen vom Boden aß, blieb sie kurz stehen. »Vielleicht solltet Ihr eine Haarbürste mit Euch tragen«, fügte sie hinzu. »Das kann ganz schön anstrengend für die Hände sein.«
Sarene lächelte. »Ja, Cadsuane Sedai.«
Und was, dachte Cadsuane und verließ das Zimmer, machen wir jetzt mit al’Thor?
»Mein Lord«, sagte Grady und rieb sich das verwitterte Gesicht. »Ich glaube, Ihr versteht das nicht richtig.«
»Dann erklärt es mir«, sagte Perrin. Er stand auf einem Hügel und betrachtete die gewaltige Ansammlung an Flüchtlingen und Soldaten. Nicht zueinanderpassende Zelte verschiedenster Machart – braune Aiel-Zelte mit einer Spitze, große bunte aus Cairhien, ganz normale mit zwei Spitzen – wuchsen in die Höhe, als sich die Leute auf die Nacht vorbereiteten.
Wie gehofft hatten die Shaido Aiel nicht die Verfolgung aufgenommen. Sie hatten Perrins Armee sich zurückziehen lassen, allerdings berichteten seine Späher, dass sie nun auf die Stadt zurückten, um sie zu untersuchen. Das bedeutete, dass er etwas Zeit gewonnen hatte. Zeit, um sich auszuruhen, Zeit, um wegzuhumpeln, Zeit, um den größten Teil der Flüchtlinge mit Wegetoren fortzuschaffen, wie er hoffte.
Beim Licht, das war wirklich eine große Gruppe. Tausende und Abertausende von Menschen, ein Albtraum an Koordination und Versorgung. Die letzten paar Tage waren von einem endlosen Strom an Beschwerden, Einwänden, Urteilen und Papieren erfüllt gewesen. Wo fand Balwer nur dieses ganze Papier? Es schien viele der Leute, die zu Perrin kamen, zufriedenzustellen. Dekrete und die Beilegung von Disputen schienen für sie unendlich offizieller zu sein, wenn sie auf einem Stück Papier standen. Balwer meinte, Perrin würde ein eigenes Siegel brauchen.
Die Arbeit war eine Ablenkung gewesen, was gut war. Aber Perrin wusste, dass er seine Probleme nicht lange zur Seite schieben konnte. Rand lockte ihn nach Norden. Er musste zur Letzten Schlacht marschieren. Alles andere war unwichtig.
Andererseits war es genau diese Zielstrebigkeit, die alles außer seinem Ziel ignorierte, die während seiner Jagd nach Faile zu einer Quelle ständigen Ärgers geworden war. Irgendwie musste er ein Gleichgewicht finden. Er musste sich entscheiden, ob er diese Menschen führen wollte, musste mit dem Wolf in sich Frieden schließen, der Bestie, die wütete, wenn er in die Schlacht zog.
Aber bevor er auch nur irgendetwas davon in Angriff nehmen konnte, musste er diese Flüchtlinge nach Hause schaffen. Und das erwies sich als Problem. »Ihr konntet Euch doch jetzt ausruhen, Grady«, sagte er.
»Die Erschöpfung ist nur ein Teil davon, mein Lord«, erwiderte Grady. »Obwohl ich mich ehrlich gesagt immer noch so fühle, als könnte ich eine Woche lang schlafen.«
Er sah müde aus. Grady war ein robuster Mann mit dem Gesicht eines Bauern und dem dazu passenden Temperament. Dieser Mann würde seine Pflicht erfüllen, da hatte Perrin nicht die geringsten Zweifel; tatsächlich vertraute er ihm da mehr als den meisten Adeligen, die er kennengelernt hatte. Aber auch Grady konnte nur bis zu einem gewissen Punkt angetrieben werden. Was stellte das mit einem Mann an, so oft die Macht lenken zu müssen? Grady hatte tiefe Tränensäcke unter den Augen, und trotz seiner Bräune
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