Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
wenn sie manchmal Zeit damit verbrachte, sie durchzusehen. Die hier war neu, und sie erregte ihre Aufmerksamkeit. Der riesige Berg wies an der Seite ein zerklüftetes Loch auf. Der Drachenberg? Er war in dunkle Schatten gehüllt, als würden die Wolken hoch am Himmel jedes Licht verschlucken. Das war seltsam; wenn Min den Berg betrachtet hatte, hatte er die Wolken stets hoch überragt.
Der Drachenberg in Schatten. Irgendwann in der Zukunft würde er für Rand wichtig sein. War da ein winziges Licht, das vom Himmel auf die Bergspitze leuchtete?
Die Vision verschwand. Obwohl Min wusste, was einige von ihnen zu bedeuten hatten, verblüffte diese Sicht sie. Sie seufzte, lehnte sich auf dem rot gepolsterten Stuhl zurück. Ihre Bücher lagen vor ihr auf dem Boden verteilt; sie widmete ihren Studien immer mehr Zeit, einerseits, weil sie Rands Ungeduld spürte, andererseits, weil sie nicht wusste, womit sie sich sonst beschäftigen sollte. Die Vorstellung hatte ihr gefallen, auf sich selbst aufpassen zu können. Und sie hatte angefangen, sich als Rands letzte Verteidigungslinie zu betrachten.
Min hatte entdeckt, wie nützlich sie tatsächlich als »Verteidigungslinie« war. Ungefähr so nützlich wie ein Kind! Tatsächlich war sie ein Hindernis gewesen, ein Werkzeug, das Semirhage gegen ihn benutzt hatte. Als Rand einmal vorgeschlagen hatte, sie wegzuschicken, hatte sie ihn deshalb empört ausgeschimpft. Sie wegschicken! Damit sie in Sicherheit war? Das war lächerlich! Sie konnte auf sich selbst aufpassen.
Das hatte sie zumindest geglaubt. Jetzt sah sie ein, dass er recht gehabt hatte.
Der Gedanke machte sie krank. Also betrieb sie ihre Nachforschungen und versuchte ihm nicht im Weg zu stehen. Er hatte sich an diesem Tag verändert, als hätte man etwas Strahlendes in ihm einfach abgestellt. Eine Lampe, die erlosch, weil ihr das Öl ausgegangen und nur noch das Gehäuse zurückgeblieben war. Er sah sie nun mit anderen Augen. Aber was sah er? Nur eine Belastung?
Sie erschauderte und versuchte, diesen Gedanken aus dem Kopf zu verbannen.
Rand zog die Stiefel an, schnallte sie zu.
Er stand auf, griff nach dem Schwert, das an seiner Kleidertruhe lehnte. Die schwarze Scheide mit dem aufgemalten roten und goldenen Drachen funkelte im Licht. Welch seltsame Waffe diese Gelehrten doch unter der versunkenen Statue gefunden hatten. Das Schwert fühlte sich so alt an. Trug Rand es heute als eine Art Symbol? Vielleicht als ein Zeichen, dass er in die Schlacht ritt?
»Du gehst auf die Jagd nach ihr , nicht wahr?«, sagte Min plötzlich. »Graendal.«
»Ich muss die Probleme lösen, die ich lösen kann«, sagte Rand, zog das Schwert aus der Scheide und überprüfte die Klinge. Es gab kein Reiherzeichen, aber die prächtige Stahlklinge funkelte im Lampenlicht und zeigte die wellenförmigen Linien des gefalteten Metalls. Rand hatte behauptet, man hätte sie mit der Einen Macht geschmiedet. Er schien Dinge darüber zu wissen, die er für sich behielt.
Rand schob die Klinge zurück in die schwarze Scheide und sah Min an. »Erledige die Probleme, die du erledigen kannst, quäle dich nicht derentwegen, die nicht zu lösen sind. Das hat mir Tam einmal gesagt. Arad Doman wird allein gegen die Seanchaner bestehen müssen. Das Letzte, was ich für die Menschen hier tun kann, ist, eine der Verlorenen von ihrem Boden zu entfernen.«
»Sie könnte dich erwarten«, sagte Min. »Ist dir der Gedanke gekommen, dass der Junge, den Nynaeve gefunden hat, absichtlich dort wartete? Dass er entdeckt werden sollte, um dich in eine Falle zu locken?«
Er zögerte, dann schüttelte er den Kopf. »Er war echt. Moghedien wäre vielleicht auf so einen Einfall gekommen, aber nicht Graendal. Sie hätte zu viel Angst, dass man ihre Spur aufnimmt. Wir müssen schnell handeln, bevor sie erfährt, dass sie kompromittiert wurde. Ich muss jetzt zuschlagen.«
Min stand auf.
»Kommst du mit?«, fragte Rand überrascht.
Sie errötete. Und wenn es bei Graendal genauso schiefgeht wie bei Semirhage? Was, wenn man mich wieder zum Werkzeug gegen ihn macht?
»Ja«, sagte sie, nur um sich selbst zu beweisen, dass sie nicht aufgab. »Natürlich komme ich mit. Glaube ja nicht, du kannst mich zurücklassen!«
»Das würde mir nicht im Traum einfallen«, sagte er tonlos. »Komm.«
Sie hatte mit größerem Widerstand gerechnet.
Vom Nachttisch nahm er die Statuette des Mannes mit der Kugel. Er drehte das Ter’angreal in der Hand, inspizierte es, dann sah er Min an, als
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