Das Rad der Zeit 13. Das Original: Mitternachtstürme (German Edition)
Ich bin länger in Tel’aran’rhiod gewandelt, als du dir vorstellen kannst. Du bist was … zwanzig Jahre alt?«
»Ich bin die Amyrlin«, erwiderte Egwene.
»Eine Amyrlin für Kinder.«
»Die Amyrlin einer Weißen Burg, die seit Tausenden von Jahren Bestand hat. Tausende Jahre Schwierigkeiten und Chaos. Trotzdem hast du den größten Teil deines Lebens in einer Zeit des Friedens und nicht des Krieges gelebt. Schon seltsam, dass du dich für so stark hältst, wo doch so viel von deinem Leben so leicht war.«
»Leicht?«, fragte Mesaana. »Du weißt gar nichts.«
Keine von ihnen senkte den Blick. Egwene fühlte, wie sie etwas bedrängte, genau wie zuvor. Mesaanas Willenskraft, die ihre Unterwerfung forderte. Der Versuch, mithilfe von Tel’aran’rhiod die Art und Weise zu verändern, auf die Egwene dachte.
Mesaana war stark. Aber an diesem Ort war Stärke eine Sache der Perspektive. Mesaanas Wille setzte ihr zu. Aber Egwene hatte den A’dam besiegt. Sie konnte auch dem hier widerstehen.
»Du wirst dich fügen«, sagte Mesaana leise.
»Du irrst dich«, erwiderte Egwene angespannt. »Hier geht es nicht um mich. Egwene al’Vere ist ein Kind. Aber die Amyrlin ist es nicht. Ich mag jung sein, aber der Sitz ist uralt.«
Keine der Frauen brach den Blickkontakt. Egwene übte nun ebenfalls Druck aus, verlangte , dass sich Mesaana vor ihr verneigte, vor der Amyrlin. Die Luft um sie herum fühlte sich unvermittelt schwer an, und als sie sie einatmete, erschien sie irgendwie dickflüssig .
»Alter ist irrelevant«, sagte sie. »Bis zu einem gewissen Punkt ist sogar Erfahrung irrelevant. Bei diesem Ort geht es darum, was eine Person darstellt. Die Amyrlin ist die Weiße Burg, und die Weiße Burg wird sich nicht beugen. Sie trotzt dir, Mesaana, dir und deinen Lügen.«
Zwei Frauen. Die sich mit Blicken maßen. Egwene hörte auf zu atmen. Sie musste nicht atmen. Alles war auf Mesaana konzentriert. Schweißperlen rannen ihre Schläfen hinunter, jeder Muskel in ihrem Körper war angespannt, während sie Mesaanas Willen zurückdrängte.
Und sie wusste unwiderruflich, dass diese Frau, diese Kreatur, ein unbedeutendes Insekt war, das sich gegen einen gewaltigen Berg stemmte. Dieser Berg würde sich nicht bewegen. Und stemmte man sich zu hart dagegen, dann …
Etwas in dem Raum zerbrach leise.
Egwene atmete keuchend ein, als die Luft wieder normal wurde. Mesaana sackte wie eine Stoffpuppe zusammen. Mit geöffneten Augen schlug sie auf dem Boden auf; Speichel sickerte aus ihrem Mundwinkel.
Benommen setzte sich Egwene hin. Sie schaute zur Seite, wo der weggeworfene A’dam lag. Er verschwand. Dann schaute sie wieder zu Mesaana, die dort wie ein Bündel lag. Ihre Brust hob und senkte sich noch, aber ihr Blick starrte ins Leere.
Egwene blieb einen langen Augenblick dort liegen, bevor sie aufstand und die Quelle umarmte. Sie webte Stränge aus Luft um die reglose Verlorene, dann versetzte sie sich zusammen mit der Frau zu den oberen Etagen des Turms.
Überrascht drehten sich Frauen zu ihr um. Der Korridor war mit Trümmern übersät, aber jede der Frauen gehörte zu ihr. Die Weisen Frauen, die zu ihr herumfuhren. Nynaeve, die Geröll durchsuchte. Siuan und Leane, die mehrere geschwärzte Schnitte im Gesicht hatte, aber stark aussah.
»Mutter«, sagte Siuan erleichtert. »Wir hatten schon befürchtet …«
»Wer ist das?«, fragte Melaine und ging zu Mesaana, die schlaff in dem Gewebe aus Luft hing und den Boden anstarrte. Plötzlich krähte die Frau wie ein Kind und beobachtete gebannt die Flämmchen an den Überresten eines Wandteppichs.
»Sie ist es«, sagte Egwene müde. »Mesaana.«
Überrascht sah Melaine Egwene an.
»Beim Licht!«, rief Leane aus. »Was habt Ihr getan?«
»Das habe ich schon einmal gesehen«, meinte Bair und musterte die Frau. »Sammana, eine Traumgängerin der Weisen Frauen in meiner Jugend. Im Traum begegnete sie etwas, das ihren Verstand zerstörte.« Sie zögerte. »Sie verbrachte den Rest ihrer Tage in der wachen Welt mit Sabbern und musste gesäubert werden. Sie hat nie wieder ein Wort gesprochen, jedenfalls nicht mehr als die Worte eines Kleinkinds, das gerade gehen kann.«
»Vielleicht ist es Zeit, Euch nicht mehr als Lehrling zu betrachten, Egwene al’Vere«, sagte Amys.
Nynaeve hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah beeindruckt aus, klammerte sich aber noch immer an die Quelle. Im Traum hatte ihr Zopf wieder seine alte Länge. »Die anderen sind weg«, sagte
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