Das Rad der Zeit 14. Das Original: Das Vermächtnis des Lichts (German Edition)
hervorholen und bis spät in die Nacht hinein lesen. Tuon würde diese beiden wirklich entlassen müssen. Warum plauderten sie gemütlich auf einem Balkon? Wo hier doch überall Attentäter herumschleichen konnten!
Dank des Lichts gingen die beiden schließlich wieder hinein. Mat versuchte, bis zehn zu zählen, bevor er sich nach oben schwang, hielt aber nur bis sieben durch. Er stieß eine der unverriegelten Sichtschutzblenden auf und stieg über die Balkonbrüstung.
Dann atmete er leise aus; seine Arme schmerzten. Dieser Palast war trotz der beiden Wächter nicht einmal annähernd so unzugänglich, wie es der Stein von Tear gewesen war, und in ihn hatte sich Mat Zugang verschafft. Und er hatte hier auch noch einen anderen Vorteil: Er war in diesem Palast nach Belieben ein und aus gegangen. Jedenfalls meistens. Er kratzte sich durch das Halstuch im Nacken. Einen Augenblick lang kam es ihm wie eine Kette vor.
Sein Vater hatte dieses Sprichwort gehabt: Man muss immer die Richtung kennen, in die man reiten will. Kein anderer Mann war so ehrlich wie Abell Cauthon gewesen, das hatte jeder gewusst, aber manchen Leuten konnte man nicht weiter trauen, als sie spucken konnten – vor allem das Volk oben in Taren-Fähre. Beim Pferdehandel musste man sich immer bereithalten loszureiten, und man musste immer wissen, in welche Richtung es gehen sollte. Hatte Abell gesagt.
Nun, in den zwei Monaten, in denen Mat in diesem Palast gelebt hatte, hatte er sich mit jedem Ausgang vertraut gemacht – mit jedem Gang und jeder Tür, jedem lockeren Fensterriegel. Welche Sichtschutzblenden leicht zu öffnen und welche für gewöhnlich fest verschlossen waren. Wenn man sich rausschleichen konnte, konnte man sich auch reinschleichen. Einen Moment lang ruhte er sich auf dem Balkon aus, betrat aber nicht das dazugehörige Zimmer. Der zweite Stock war für Gäste bestimmt. Er hätte sich hier einschleichen können, aber das Innere eines Gebäudes war immer besser bewacht als die Außenseite. Es war besser, weiter an der Fassade emporzuklettern.
Dabei durfte man sich nie verleiten lassen, nach unten zu blicken. Glücklicherweise war die Fassade nicht schwierig zu erklettern. Stein- und Holzornamente sorgten für ausreichende Klettervorsprünge. Er musste daran denken, dass er Tylin deswegen einmal gewarnt hatte.
Schweißtropfen krochen Mats Stirn hinunter wie Ameisen ihren Hügel, als er wieder über die Brüstung stieg, sich nach oben zog und an der Mauer in Richtung drittes Stockwerk kletterte. Gelegentlich schlug der Ashandarei gegen seine Beine. Der Wind trug den Geruch des Meeres herbei. Hoch oben roch immer alles besser. Vielleicht war das der Grund, warum Köpfe besser als Füße rochen.
Was für ein blöder Gedanke, schalt sich Mat. Alles, nur um nicht an die Höhe zu denken. Er zog sich auf einen Vorsprung, rutschte mit einem Fuß ab und baumelte kurz. Keuchend atmete er ein und aus, dann machte er weiter.
Da. Über ihm kam Tylins Balkon in Sicht. Natürlich hatten ihre Gemächer mehrere davon; sein Ziel war der am Schlafzimmer und nicht der am Wohnzimmer. Der sah schließlich auf den Mol-Hara-Platz hinaus, und dort wäre seine Kletterei so verräterisch wie eine Fliege auf einem weißen Pudding gewesen.
Wieder schaute er zu dem aufwendig mit Schmiedearbeiten verzierten Balkongeländer hinauf. Er hatte sich immer gefragt, ob er es wohl schaffen würde, dort hinaufzuklettern. Mit Sicherheit hatte er in Betracht gezogen, dort herunterzuklettern .
Nun, eine solche Kletterpartie würde er auf keinen Fall noch einmal in Angriff nehmen, so ein Narr war er nicht, so viel stand fest. Nur dieses eine Mal und das auch nur widerstrebend. Matrim Cauthon wusste schließlich, wie er auf seinen Hals aufpassen musste. Er hatte nicht so lange überlebt, indem er unberechenbare Risiken einging, ob ihm das Glück nun zur Seite stand oder nicht. Wenn Tuon in einer Stadt leben wollte, wo das Oberhaupt ihrer Heere sie umbringen wollte, dann war das ihre Sache.
Er nickte. Er würde dort einsteigen, ihr in einem ganz vernünftigen Tonfall erklären, dass sie diese Stadt verlassen musste und dieser General Galgan sie verriet. Dann konnte er fröhlich seiner Wege gehen und eine anständige Würfelpartie finden. Dazu war er ja schließlich in diese Stadt gekommen. Falls Rand oben im Norden war, wo sich die vielen Trollocs herumtrieben, dann wollte er so weit von diesem Mann entfernt sein, wie das nur möglich war. Zwar tat Rand ihm leid, aber jeder
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