Das Rad der Zeit 14. Das Original: Das Vermächtnis des Lichts (German Edition)
vernünftige Mensch würde einsehen, dass das für ihn die einzige Möglichkeit darstellte. Der Farbenwirbel bildete sich, aber er unterdrückte ihn.
Vernünftig. Er würde ausgesprochen vernünftig sein.
Schwitzend, fluchend und mit schmerzenden Händen zog sich Mat auf den Balkon im dritten Stock. Einer der Riegel der Sichtschutzblenden war locker, genau wie zu der Zeit, als er in diesem Palast gelebt hatte. Ein schneller Ruck mit einer Drahtschlinge reichte aus, um dort hineinzukommen. Er betrat den geschlossenen Balkon, nahm den Ashandarei ab, legte sich auf den Rücken und keuchte, als wäre er den ganzen Weg von Andor nach Tear gelaufen.
Nach ein paar Minuten kam er wieder auf die Füße, dann schaute er über die Brüstung die drei Stockwerke nach unten. Wenn er diese Kletterpartie jetzt von dieser Perspektive aus betrachtete, fühlte er sich ziemlich gut.
Er hob den Ashandarei auf und trat an die Balkontür. Zweifellos würde Tuon mittlerweile Tylins Gemächer bezogen haben. Es waren die besten im ganzen Palast. Mat öffnete die Tür einen Spalt. Er würde einen schnellen Blick hineinwerfen und …
Etwas schoss aus den Schatten vor ihm und bohrte sich direkt über seinem Kopf in den Türrahmen.
Mat ließ sich fallen, rollte sich ab, zog ein Messer mit der einen und hielt den Ashandarei mit der anderen Hand. Die Wucht des Armbrustbolzens ließ die Tür aufschwingen.
Einen Augenblick später schaute Selucia hinaus. Ihre rechte Kopfseite war glatt rasiert, die andere Seite verbarg ein Tuch. Ihre Haut hatte die Farbe von Sahne, aber jeder Mann, der sie für weich hielt, würde sehr schnell eines Besseren belehrt. Selucia hätte noch einem Schmirgelpapier ein paar Dinge über das Hartsein beibringen können.
Sie richtete eine kleine Armbrust auf Mat, und er musste lächeln. »Ich wusste es!«, rief er aus. »Ihr seid eine Leibwächterin. Das seid Ihr immer schon gewesen.«
Selucia warf ihm einen finsteren Blick zu. »Was macht Ihr denn hier, Ihr Narr?«
»Ach, ich mache bloß einen Spaziergang«, erwiderte Mat, stand auf und steckte das Messer weg. »Angeblich soll Nachtluft einem guttun. Die Meeresbrise. Eben diese Dinge.«
»Seid Ihr etwa hier raufgeklettert?«, fragte Selucia und warf einen Blick über die Balkonbrüstung, als suche sie nach einem Seil oder einer Leiter.
»Was denn? Klettert Ihr hier nicht für gewöhnlich herauf? Das ist wirklich gut für die Arme. Verbessert den Griff.«
Sie schenkte ihm einen Blick, der deutlich zum Ausdruck brachte, dass sie sich fragte, womit sie das verdient hatte, und Mat musste grinsen. Wenn Selucia nach Attentätern Ausschau hielt, dann ging es Tuon vermutlich gut. Er deutete mit dem Kopf auf die Armbrust, die noch immer auf ihn gerichtet war. »Würdet Ihr …«
Sie dachte nach, dann seufzte sie und senkte die Waffe.
»Vielen Dank. Mit diesem Ding könntet Ihr einem Mann das Auge ausschießen, und normalerweise wäre mir das egal, aber ich habe im Moment nicht mehr so viele davon.«
»Was habt Ihr gemacht?«, fragte Selucia trocken. »Mit einem Bär gewürfelt?«
»Selucia!« Mat ging an ihr vorbei, um das Zimmer zu betreten. »Das war ja fast so etwas wie ein Scherz. Vielleicht könnten wir Euch ja mit ein bisschen Mühe doch noch so etwas wie einen Sinn für Humor beibringen. Das wäre dann so unerwartet, dass wir Euch in eine Menagerie stecken und Eintritt für Euch verlangen könnten. ›Kommt und seht die unvergleichliche lachende So’jhin . Heute Abend nur zwei Kupferstücke …‹«
»Das Auge war bestimmt ein Wetteinsatz, nicht wahr?«
Mat stieß die Tür auf. Er kicherte. Beim Licht! Das kam der Wahrheit fast schon seltsam nahe. »Sehr drollig.«
Diese Wette habe ich gewonnen, dachte er, ganz egal, wie andere das vielleicht sehen. Matrim Cauthon war der einzige Mann, der um das Schicksal der Welt selbst im Gewinnbeutel gewürfelt hatte. Natürlich würden sie das nächste Mal einen anderen hirnverbrannten Helden finden müssen, der seinen Platz einnahm. Jemanden wie Rand oder Perrin. Diesen beiden kam das Heldentum ja fast schon aus dem Mund und tropfte ihnen vom Kinn. Er unterdrückte die Bilder, die sich bilden wollten. Licht! Er musste endlich aufhören, an die beiden zu denken.
»Wo ist sie?«, fragte er und sah sich im Schlafgemach um. Die Laken waren zerwühlt – diese pinkfarbenen Bänder am Kopfteil bildete er sich tatsächlich nicht ein –, aber Tuon war nirgendwo zu sehen.
»Unterwegs«, sagte Selucia.
»Unterwegs?
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