Das Rad der Zeit 14. Das Original: Das Vermächtnis des Lichts (German Edition)
M’Hael.
»Er webt Blitze!«, schrie ein Mann hinter ihr.
Sofort ließ Egwene eine Säule aus geschmolzenem Eisen aus dem Boden schießen und kühlte sie ab, damit sie den einen Augenblick später einschlagenden Blitz ablenken konnte. Sie warf einen Blick zur Seite. Der Mann, der sie gewarnt hatte, war Jahar Narishma, Merises Asha’man-Behüter.
Egwene lächelte und blickte zu Taim hoch. »Haltet die anderen von mir fern«, befahl sie laut. »Alle bis auf Narishma und Merise. Narishmas Warnungen werden sich als nützlich erweisen.«
Sie sammelte ihre Kraft und schleuderte dem Verräter M’Hael einen Sturm entgegen.
Auf dem Schlachtfeld unweit der Ruinen suchte sich Ila einen Weg vorbei an den Toten. Obwohl sich der Kampf flussabwärts verlagert hatte, hörte sie die Explosionen und fernen Schreie in der Nacht.
Sie suchte nach den Verletzten unter den Gefallenen und ignorierte Pfeile und Schwerter, wenn sie sie fand. Die würden andere einsammeln, auch wenn sie sich wünschte, dass das nicht nötig sein würde. Schwerter und Pfeile hatten so viel Tod gebracht.
In der Nähe war Raen zugange, ihr Mann. Er stieß jeden Körper an, dann suchte er nach einem Herzschlag. Seine Handschuhe waren mit roten Flecken übersät, seine bunte Kleidung voller Blut, weil er das Ohr auf die Brust der Gefallenen legte. Sobald sie sich vergewissert hatten, dass jemand tot war, malten sie ihm ein X auf die Wange, oft mit dem Blut des betreffenden Leichnams. Das würde den anderen unnötige Arbeit ersparen.
Raen schien im vergangenen Jahr ein Jahrzehnt gealtert zu sein, und Ila hatte das gleiche Gefühl. Meistens war der Weg des Blattes ein anspruchsloser Herr, der für ein Leben der Freude und des Friedens sorgte. Aber ein Blatt fiel in einer sanften Brise und im Sturm; die Hingabe verlangte, dass man Letzteres genau wie das Erstere akzeptierte. Von einem Land ins nächste getrieben zu werden, an Hunger zu leiden, während das Land starb, dann schließlich in den Ländern der Seanchaner Zuflucht zu finden … das war ihr Leben gewesen.
Nichts davon war so schlimm wie der Verlust Arams. Das hatte viel mehr geschmerzt, als seine Mutter an die Trollocs zu verlieren.
Sie kamen an Morgase vorbei, der einstigen Königin, die diese Arbeiter organisierte und ihnen Befehle gab. Ila ging weiter. Sie hatte nicht viel für Königinnen übrig. Sie hatten nie etwas für sie oder ihr Volk getan.
In der Nähe blieb Raen stehen und hob die Laterne, um einen vollen Köcher Pfeile zu untersuchen, den ein Soldat getragen hatte, als er gefallen war. Ila zischte und hob die Röcke, um über Leichen zu steigen und an die Seite ihres Mannes zu gelangen. »Raen!«
»Friede, Ila«, sagte er. »Ich habe keineswegs vor, ihn aufzuheben. Und doch macht es mich nachdenklich.« Er schaute zu den fernen Lichtblitzen flussabwärts und auf dem Plateau, wo die Heere ihr schreckliches Morden fortsetzten. So oft leuchtete es in der Nacht auf, als würden Hunderte Blitze einschlagen. Mitternacht war lange vorbei. Schon seit Stunden suchten sie auf diesem Feld nach Überlebenden.
»Es macht dich nachdenklich?«, fragte Ila. »Raen …«
»Was sollten sie denn machen? Trollocs werden sich nicht dem Weg des Blattes anschließen.«
»Es gibt noch genug Platz zum Weglaufen«, erwiderte Ila. »Sieh sie dir doch an. Sie traten an, um den Trollocs entgegenzutreten, als das Schattengezücht kaum die Fäule verlassen hatte. Wäre dieser ganze Aufwand darauf verwendet worden, die Menschen zu versammeln und in den Süden zu bringen …«
»Die Trollocs wären ihnen gefolgt«, meinte Raen. »Und was dann, Ila?«
»Wir haben vielen Herren gedient«, sagte sie. »Der Schatten hätte uns vermutlich schlecht behandelt, aber wäre das wirklich so viel schlimmer gewesen, als uns die Menschen behandeln?«
»Ja«, sagte Raen leise. »Ja, Ila. Es wäre schlimmer. Viel, viel schlimmer.«
Sie blickte ihn an.
Seufzend schüttelte er den Kopf. »Ich werde den Weg des Blattes nicht aufgeben, Ila. Es ist mein Weg, und er ist richtig für mich. Aber … vielleicht werde ich nicht mehr ganz so schlecht über jene denken, die sich einem anderen Weg verschworen haben. Falls wir diese Zeit überleben, dann ist das das Vermächtnis all jener, die auf diesem Schlachtfeld gestorben sind, ob wir ihr Opfer nun gutheißen oder nicht.«
Er verstummte. Das ist bloß die Finsternis dieser Nacht, dachte sie. Sobald die Sonne wieder scheint, wird er sie überwinden. So wird es sein. Nicht
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