Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
seit mehr als zweitausend Jahren dort neben dem Weinquellenbach gestanden.
Närrin. Nachdem sie Nynaeve so eindringlich vor den Gefahren Tel’aran’rhiods gewarnt hatte, hätte sie sich nun beinahe in einem ihrer eigenen Träume fangen lassen. Aber warum ausgerechnet mit Galad? Sicher träumte sie auch gelegentlich von ihm. Ihre Wangen röteten sich. Sie war gewiss nicht in ihn verliebt, konnte ihn noch nicht einmal sonderlich gut leiden, aber er war schön, und in diesen Träumen war er viel mehr gewesen, als sie sich in Wirklichkeit von ihm wünschte. Viel häufiger träumte sie aber von seinem Bruder Gawyn, und das war genauso töricht. Was Elayne auch behaupten mochte, er hatte ihr gegenüber jedenfalls nie solche Gefühle gezeigt.
Es lag an diesem idiotischen Buch mit all jenen Liebesgeschichten. Sobald sie morgen erwachte, würde sie Aviendha das Ding zurückgeben. Und ihr sagen, sie nehme ihr das nicht ab, dass sie es nur der Abenteuer wegen gelesen habe.
Trotzdem verließ sie diesen Traum nur ungern. Zu Hause. Emondsfelde. Der letzte Ort, an dem sie sich noch wirklich sicher gefühlt hatte. Mehr als eineinhalb Jahre war es nun her, dass sie die Heimat das letzte Mal gesehen hatte. Doch alles schien noch so, wie sie es in Erinnerung hatte. Nein, nicht alles. Auf dem Anger standen zwei hohe Masten mit großen Flaggen daran. Auf der einen war ein roter Adler zu sehen und auf der anderen ein genauso roter Wolfskopf. Hatte Perrin irgendetwas damit zu tun? Sie konnte sich das eigentlich nicht vorstellen. Aber er war nach Hause zurückgekehrt, hatte Rand gesagt, und sie hatte mehr als einmal von ihm im Zusammenhang mit Wölfen geträumt.
Genug des untätigen Herumstehens. Es wurde Zeit …
Flackern.
Ihre Mutter trat aus der Schenke. Den ergrauten Zopf hatte sie über eine Schulter nach vorn gelegt. Marin al’Vere war eine schlanke Frau, sah immer noch gut aus und war überdies die beste Köchin an den Zwei Flüssen. Egwene hörte ihren Vater im Schankraum lachen, wo er sich wohl mit dem Rest des Rates der Gemeinde zusammengesetzt hatte. »Bist du immer noch draußen, Kind?«, fragte ihre Mutter mit sanfter Missbilligung und leichter Heiterkeit zugleich in der Stimme. »Du bist doch schon lange genug verheiratet, um zu wissen, dass du deinen Mann nicht merken lassen darfst, wie sehr du ihn vermisst.« Mit einem Kopfschütteln lachte sie auf. »Zu spät. Da kommt er schon.«
Egwene wandte sich eifrig um und blickte an den auf dem Anger spielenden Kindern vorbei zur Brücke hin. Deren Balken erzitterten und dröhnten, als Gawyn hinübergaloppierte. Vor ihr schwang er sich aus dem Sattel. Hochgewachsen und gerade aufgerichtet, im goldverzierten Kurzmantel, mit den gleichen rotgoldenen Locken wie bei seiner Schwester, so stand er da, und sie blickte in seine wundervollen dunkelblauen Augen. Er sah natürlich nicht ganz so gut aus wie sein Halbbruder, doch ihr Herz schlug schneller für ihn, als es je für Galad geschlagen hatte – Was? Für Galad? – und sie drückte beide Hände auf ihren Unterleib, um diese riesigen Schmetterlinge im Bauch zu unterdrücken.
»Habe ich dir gefehlt?«, fragte er lächelnd.
»Ein wenig.« Warum habe ich dabei an Galad gedacht? Als hätte ich ihn erst vor ein paar Augenblicken gesehen. »Von Zeit zu Zeit, wenn ich gerade nichts Besseres zu tun hatte. Und du? Hast du mich vermisst?«
Zur Antwort zog er sie an sich und küsste sie. Sie nahm kaum etwas anderes wahr, bis er sie wieder auf die Füße stellte. Ihre Beine hätten beinahe nachgegeben. Die Flaggen waren weg. Welche Flaggen?
»Hier ist er«, sagte ihre Mutter, die sich mit einem Baby in Windeln näherte. »Hier ist euer Sohn. Er ist ein lieber Junge. Er weint überhaupt nicht.«
Gawyn lachte, nahm das Kind in die Arme und hielt es hoch. »Er hat deine Augen, Egwene. Eines Tages werden ihm die Mädchen hinterherrennen.«
Egwene trat von ihnen zurück und schüttelte den Kopf. Es waren Flaggen dagewesen, der rote Adler und ein roter Wolfskopf. Und sie hatte Galad gesehen. In der Burg. »Neeeeein!«
Sie floh. Schnell sprang sie aus Tel’aran’rhiod in ihren eigenen Körper. Ihr Bewusstsein hielt gerade lange genug an, um sich zu fragen, wieso sie so dumm gewesen war, sich beinahe von den eigenen Einbildungen einfangen zu lassen. Dann befand sie sich tief in einem eigenen, sicheren Traum. Gawyn galoppierte über die Wagenbrücke und schwang sich vom Pferd …
Moghedien trat hinter einem strohgedeckten Haus hervor
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