Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
die Stirn. »Siuan falls Ihr das wirklich seid –, wir haben uns an Eurem zweiundzwanzigsten Namenstag gestritten, Ihr und ich. Wo geschah das und was kam dabei heraus?«
Siuan lächelte die mütterliche Frau selbstbewusst an. »Das war während Eurer Unterrichtsstunde bei den Aufgenommenen, und Ihr habt erklärt, warum so viele der aus Artur Falkenflügels Reich hervorgegangenen Nationen nicht überleben konnten. Übrigens bin ich nach wie vor nicht in allen Punkten Eurer Meinung. Es ging so aus, dass ich zwei Monate lang täglich drei Stunden in der Küche gearbeitet habe. ›In der Hoffnung, dass die Hitze Euren Übereifer bremsen und abbauen möge‹, habt Ihr, glaube ich, gesagt.«
Falls sie geglaubt hatte, diese eine Antwort werde den anderen reichen, hatte sie sich geirrt. Anaiya hatte weitere Fragen an beide Frauen auf Lager, genau wie Carlinya und Sheriam, die offensichtlich zur gleichen Zeit Novizinnen und Aufgenommene gewesen waren. In den Fragen ging es immer um Dinge, die keine Doppelgängerin wissen konnte, Streitigkeiten, in die sie verwickelt gewesen war, erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Streiche, ihre Meinung und die allgemein vertretenen Meinungen über bestimmte AesSedai-Lehrerinnen. Min konnte kaum glauben, dass die Frauen, aus denen später die Amyrlin und die Bewahrerin der Chroniken geworden waren, so oft ins Fettnäpfchen getreten waren, und dabei hatte sie noch das Gefühl, das Gehörte sei nur die Spitze des Eisbergs gewesen, und wie es schien, war ihnen Sheriam auch noch ziemlich nahe gekommen. Myrelle, die jüngste von ihnen, beschränkte sich auf amüsierte Kommentare, bis Siuan etwas von einer Forelle erwähnte, die jemand in Saroiya Sedais Bad geworfen hatte, und von einer Novizin, die daraufhin ein halbes Jahr lang Strafdienst tun musste. Nicht, dass Siuan viele Gelegenheiten hatte, über andere zu sprechen, die für einen Streich bestraft worden waren. Hatte sie tatsächlich als Novizin die Hemden einer Aufgenommenen mit Juckpulver bestreut? Hatte sie sich aus der Burg geschlichen, um zu angeln? Selbst die Aufgenommenen benötigten eine Erlaubnis, um sich – außer zu bestimmten Stunden – vom Burggelände zu entfernen. Siuan und Leane hatten sogar gemeinsam gewagt, einen Eimer Wasser so abzukühlen, dass es beinahe gefroren wäre, und dann hatten sie den Eimer so platziert, dass eine Aes Sedai die Dusche abbekam, die ihnen vorher, ungerechtfertigt, wie sie glaubten, eine Prügelstrafe verordnet hatte. Dem Glitzern in Anaiyas Augen nach zu schließen, war es gut für sie gewesen, dass man sie damals nicht erwischt hatte. Mins Kenntnissen der Regeln für die Ausbildung der Novizinnen und der Aufgenommenen zufolge konnten sich diese Frauen glücklich schätzen, dass man ihnen gestattete, lange genug zu bleiben, um Aes Sedai zu werden, und das auch noch mit heiler Haut.
»Ich bin zufrieden«, sagte die mütterliche Frau schließlich, wobei sie die anderen anblickte.
Myrelle nickte, nachdem Sheriam zugestimmt hatte, aber Carlinya sagte: »Da ist ja immer noch die Frage, was wir mit ihnen machen sollen.« Sie blickte Siuan unverwandt an, und die anderen schienen plötzlich unsicher zu werden. Myrelle schürzte die Lippen, und Anaiya betrachtete intensiv den Fußboden. Sheriam strich ihr Kleid glatt und schien überhaupt jeden Blick auf die Neuankömmlinge zu vermeiden.
»Wir haben immer noch all unsere Kenntnisse von vorher«, sagte ihnen Leane. Ihr plötzliches Stirnrunzeln entsprang wohl zum Teil der Sorge. »Wir können nützlich sein.«
Siuans Gesicht war dunkel verfärbt. Leane hatte sich wohl über ihre jugendlichen Missetaten und Strafen amüsiert, aber Siuan hatte das ganz und gar nicht gepasst. Doch im Gegensatz zu ihrem beinahe wütenden Blick klang ihre Stimme nur ein wenig hart: »Ihr wolltet wissen, wie wir Euch fanden. Ich habe mich mit einer meiner Agentinnen in Verbindung gesetzt, die auch für die Blauen arbeitet, und sie hat mir von Sallie Daera erzählt.«
Min verstand das mit Sallie Daera überhaupt nicht. Wer war sie? Aber Sheriam und die anderen nickten sich gegenseitig zu. Siuan hatte etwas anderes getan, als ihnen einfach zu sagen, wie sie es angestellt hatte, wurde Min jetzt klar. Sie hatte die anderen auch wissen lassen, dass sie immer noch Zugang zu ihren Augen-und-Ohren hatte, die ihr schon als Amyrlin gedient hatten.
»Setzt Euch hier drüben hin, Min«, sagte Sheriam zu ihr und deutete auf den einzigen unbesetzten Tisch in einer Ecke. »Oder
Weitere Kostenlose Bücher