Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
wenn ich wüsste, wie Ihr von unserer Gegenwart hier erfahren habt, und wenn ich eine Ahnung hätte, wieso Ihr auf die idiotische Idee kamt, ihn hierher mitzubringen.« Ein halbes Dutzend Behüter war herangekommen, die Hände an den Schwertern und die scharfen Blicke auf Logain gerichtet. Er schien sie überhaupt nicht zu sehen.
Min stand mit offenem Mund da. Warum fragte sie ausgerechnet sie? »Meine idio …?« Sie hatte keine Gelegenheit, mehr herauszubringen.
»Es wäre viel besser gewesen«, warf Carlinya mit den bleichen Wangen in eisigem Tonfall ein, »wenn er gestorben wäre, wie es die Gerüchte besagten.« Es war nicht das Eis des Zorns, sondern der kalten Vernunft. Sie war eine Weiße Ajah. Ihr elfenbeinfarbenes Kleid wirkte, als habe es schwere Zeiten gesehen. Einen Augenblick lang sah Min das Abbild eines Raben neben ihrem dunklen Haar – mehr die Zeichnung dieses Vogels als der Vogel selbst. Sie hielt es für eine Tätowierung, doch die Bedeutung kannte sie nicht. Sie konzentrierte sich auf die Gesichter und versuchte, sonst nichts zu sehen. »Er scheint ja sowieso ziemlich tot«, fuhr Carlinya fort, wobei sie kaum Luft holte. »Was Ihr euch auch dabei gedacht haben mögt, so habt Ihr eure Mühe doch verschwendet. Aber auch ich würde gern wissen, wie Ihr nach Salidar kamt.«
Siuan und Leane standen da und tauschten amüsierte Blicke, während die anderen weiterhin Min schlachteten. Keine sah die beiden auch nur an.
Myrelle, eine dunkle Schönheit in grüner Seide, das Oberteil mit schräg verlaufenden goldenen Strahlen geschmückt, das Gesicht ein perfektes Oval, lächelte oft so damenhaft und überlegen, dass sie es mit Leanes neu erlernten Tricks aufnehmen konnte. Jetzt allerdings lächelte sie nicht und hieb sofort in die gleiche Kerbe wie ihre Weiße Schwester. »Sagt etwas, Min. Steht nicht mit offenem Mund herum.« Sie war ihres feurigen Temperaments wegen verschrien, sogar bei den Grünen.
»Ihr müsst es uns sagen«, fügte Anaiya mit sanfterer Stimme hinzu, auch wenn Enttäuschung hindurchklang. Die Frau hatte nichtssagende Gesichtszüge und wirkte mütterlich trotz der für die Aes Sedai typischen Glätte ihrer Wangen. Im Augenblick strich sie ihren hellgrauen Rock glatt und wirkte noch mehr wie eine Mutter, die sich zurückhalten musste, zur Rute zu greifen. »Wir werden schon einen Platz für Euch und diese beiden anderen Mädchen finden, aber Ihr müsst uns verraten, wie Ihr hierherkamt.«
Min schüttelte sich und schloss den Mund. Natürlich. Diese beiden anderen Mädchen. Sie hatte sich so an den neuen Zustand der beiden gewöhnt, dass sie gar nicht mehr daran dachte, wie sehr sie sich verändert hatten. Sie bezweifelte, dass eine der anwesenden Frauen sie seit jener Zeit gesehen hatten, als sie in das Verließ unter der Weißen Burg gebracht worden waren. Leane schien gleich loslachen zu wollen, und Siuan schüttelte beinahe den Kopf über so viel Unachtsamkeit der Aes Sedai.
»Ich bin nicht diejenige, mit der Ihr sprechen solltet«, sagte Min zu Sheriam. Lass sie zur Abwechslung diese ›beiden anderen Mädchen‹ so kalt anstarren. »Fragt stattdessen Siuan oder Leane.« Sie sahen sie an, als sei sie verrückt geworden, bis sie in Richtung ihrer beiden Begleiterinnen nickte.
Vier Aes-Sedai-Augenpaare richteten sich auf die beiden Angesprochenen, doch erkannten sie sie nicht sofort. Sie musterten die Frauen und tauschten Blicke untereinander. Keiner der Behüter wandte den Blick von Logain oder nahm auch nur die Hand vom Schwertgriff.
»Eine Dämpfung könnte solche Resultate hervorbringen«, murmelte Myrelle schließlich. »Ich habe Berichte gelesen, die so etwas andeuten.«
»Die Gesichter sind auf viele Arten ähnlich«, sagte Sheriam bedächtig. »Man könnte Frauen gesucht haben, die ihnen so ähnlich sehen, aber warum?«
Siuan und Leane wirkten nun nicht mehr so überlegen. »Wir sind, wer wir sind«, sagte Leane knapp. »Befragt uns. Keine Doppelgängerin könnte wissen, was wir wissen.«
Siuan wartete nicht auf die Fragen. »Mein Gesicht mag sich verändert haben, aber wenigstens weiß ich, was ich tue und warum. Ich wette, das ist mehr, als man von Euch behaupten kann.«
Min stöhnte ob ihres strengen Tonfalls, aber Myrelle nickte und sagte: »Das ist die Stimme Siuan Sanches. Sie ist es.«
»Stimmen kann man nachmachen«, sagte Carlinya, immer noch kühl und beherrscht.
»Aber inwieweit kann man sich Erinnerungen anderer einprägen?« Anaiya runzelte ernst
Weitere Kostenlose Bücher