Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
Nynaeves Haar, als es in die Holzfläche eindrang, an die sie sich gelehnt hatte. Sie zuckte trotz ihrer verbundenen Augen zusammen. Sie hätte viel lieber einen anständigen Zopf getragen als diese Locken, die ihr lose auf die Schultern hingen. Wenn diese Klinge auch nur eine Strähne abgetrennt hatte … Törichtes Weib, dachte sie bitter. Närrisches, törichtes Weib. Das zusammengefaltete Tuch, das über ihre Augen gebunden war, ließ gerade den Blick auf einen dünnen Lichtstreifen am unteren Rand zu. In der Dunkelheit unter den dicken Wollschichten des Tuchs erschien ihr dieser Streifen sehr hell. Es musste noch recht hell sein, obwohl doch schon Spätnachmittag war. Sicher würde der Mann nicht mit seinen Messern werfen, wenn er nicht mehr richtig sehen könnte. Die nächste Klinge schlug auf der anderen Seite ihres Kopfes ein. Sie konnte deutlich spüren, wie sie knapp neben ihrem Ohr vibrierte. Sie würde Thom Merrilin und Valan Luca umbringen. Und vielleicht auch jeden anderen Mann, den sie in die Finger bekam, einfach nur aus Prinzip.
»Die Birnen«, rief Luca, als befinde er sich viel weiter als lumpige dreißig Schritt von ihr entfernt. Er musste wohl glauben, die Augenbinde mache sie nicht nur blind, sondern auch taub.
Sie tastete nach ihrer Gürteltasche und kramte eine Birne hervor, die sie vorsichtig auf ihren Kopf stellte, damit sie nicht herunterfiel. Sie war tatsächlich blind. Eine vollkommen blinde Närrin! Zwei weitere Birnen, und sie streckte ganz langsam die Arme zwischen den Messern aus, die ihren Umriss auf die Holzfläche zeichneten, und hielt mit jeder Hand eine am Stiel fest. Dann folgte eine Pause. Sie öffnete bereits den Mund, um Thom Merrilin mitzuteilen, wenn er sie auch nur ein klein wenig ritzte, werde sie ihn …
Tschunk-tschunk-tschunk! Die Klingen schlugen so schnell hintereinander ein, dass sie am liebsten gequiekt hätte, nur zog sich ihre Kehle so zusammen, dass sie keinen Laut herausbrachte. In ihrer linken Hand hielt sie nur noch den Stiel, die Rechte zitterte leicht unter dem Gewicht des Messers in der Birne und von der auf ihrem Kopf rann Saft in ihr Haar. Sie riss sich die Augenbinde ab und marschierte auf Thom und Luca zu, die beide wie blöde grinsten. Bevor sie auch nur eines der Worte herausbrachte, die in ihr hochkochten, sagte Luca bewundernd: »Ihr seid großartig, Nana. Euer Mut ist aller Bewunderung wert, und Ihr seid es noch mehr.« Er verbeugte sich tief und spreizte diesen lächerlichen roten Seidenumhang. Eine Hand legte er auf sein Herz. »Ich werde diesen Akt ›Rose zwischen Dornen‹ nennen. Obwohl Ihr in Wirklichkeit schöner als jede Rose seid.«
»Man muss nicht sehr mutig sein, um wie ein Baumstumpf dazustehen.« Eine Rose sollte sie sein? Sie würde ihm ihre Dornen schon zeigen. Beiden würde sie es zeigen. »Jetzt hört Ihr mir mal zu, Valan Luca …«
»Welcher Mut! Ihr seid noch nicht einmal zusammengezuckt. Ich sage Euch, ich hätte nicht den Mumm, zu tun, was Ihr tut!«
Das war nun wirklich die Wahrheit, sagte sie sich. »Ich bin nicht mutiger, als es sein muss«, sagte sie bereits milder gestimmt. Es fiel schwer, einen Mann anzubrüllen, der darauf bestand, einem zu sagen, wie mutig man sei. Und es war besser, so etwas zu hören als diesen Schmus über Rosen. Thom strich sich über den langen weißen Schnurrbart, als amüsiere er sich über irgendetwas.
»Das Kleid«, sagte Luca und zeigte seine Zähne in einem breiten Lächeln. »Ihr werdet darin wunderbar aussehen und …«
»Nein!«, fauchte sie. Was er bei ihr auch gewonnen hatte, soeben hatte er es durch diese Erwähnung wieder verloren. Clarine hatte das Kleid genäht, in dem Luca sie sehen wollte, aus einer Seide, die noch roter leuchtete als sein Umhang. Ihrer Meinung nach sollte die Farbe dazu dienen, dass man ihr Blut nicht bemerkte, wenn Thom mit seinen Messern etwas ausrutschte.
»Aber Nana, Schönheit in Gefahr zieht ganz gewaltig!« Lucas Stimme klang, als flüstere er ihr zärtliche Dinge ins Ohr. »Ihr werdet alle Blicke auf Euch ziehen, jedes Herz wird Eurer Schönheit und Eures Mutes wegen klopfen.«
»Wenn es Euch so gut gefällt«, sagte sie energisch, »dann tragt Ihr es doch.« Von der Farbe abgesehen, würde sie auch niemals so viel Busen in der Öffentlichkeit zur Schau stellen, ob Clarine das für angebracht hielt oder nicht. Sie hatte Latelles Bühnenkleid gesehen, ganz mit schwarzen Pailletten besetzt und hochgeschlossen bis zum Kinn. So etwas könnte
Weitere Kostenlose Bücher