Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
weniger grauenvoll, als daran zu denken, was geschähe, sollte sie Moghedien erneut unterliegen. So holte sie schließlich tief Luft, fasste vorsichtig hinein und nahm den Beutel an der Kordel hoch. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie nicht recht gehabt hatte. Das Böse schien über ihre Hand zu schwappen, stärker als je zuvor, als bemühe sich der Dunkle König wirklich und persönlich, das Cuendillar -Siegel drinnen zu brechen. Es war entschieden besser, sich den ganzen Tag über vorzustellen, was geschähe, sollte sie Moghedien tatsächlich unterliegen. Zwischen Gedanken und Realität lag doch ein gewaltiger Unterschied. Es musste wohl Einbildung sein, denn in Tanchico hatte sie das nicht spüren können, aber trotzdem wünschte sie, Elayne würde das Ding an ihrer Stelle tragen. Oder sie könnte es einfach hierlassen.
Sei nicht so närrisch!, befahl sie sich selbst ganz energisch. Es verschließt das Gefängnis des Dunklen Königs. Mit dir geht einfach deine Phantasie durch. Und doch ließ sie den Beutel auf das rote Kleid, das Luca für sie hatte anfertigen lassen, fallen wie eine halb verweste Ratte, und dann wickelte sie das Ding gut ein und verschnürte voller Hast das Bündel. Dieses Seidenbündel kam anschließend mitten in ein größeres Bündel Kleider hinein, die sie mitnehmen wollte, und das Ganze hüllte sie letztendlich noch in ihren guten, grauen Reisemantel. Ein paar Fingerbreit Abstand schirmten sie von diesem Gefühl schwärzesten Grauens ab, doch sie empfand das eindeutige Bedürfnis, ihre Hand zu waschen. Wenn sie nur nicht so genau wüsste, dass es sich dort drinnen befand. Es war wirklich idiotisch. Elayne würde sie auslachen und Birgitte vermutlich auch. Und zu Recht.
Tatsächlich ergaben die Kleidungsstücke, die sie mitnehmen wollte, zwei Pakete, und sie bedauerte jedes, das sie zurücklassen musste. Sogar das tief ausgeschnittene blaue Seidenkleid. Nicht, dass sie so etwas jemals wieder tragen wollte, und sie hatte gewiss nicht vor, das rote Kleid auch nur zu berühren, bevor sie es in Salidar einer Aes Sedai übergab, aber sie konnte es nicht lassen, die Kosten all dieser Dinge – Pferde, Wagen und Kleider – im Kopf zu addieren, die sie seit dem Verlassen Tanchicos hatten tragen müssen. Und natürlich die Kutsche und die Fässer mit Textilfarben. Selbst Elayne hätte davon Bauchschmerzen bekommen, aber die dachte wohl an so etwas einfach nicht. Diese junge Frau glaubte wahrscheinlich, es wären immer neue Münzen vorhanden, wenn sie nur in ihren Geldbeutel griff.
Sie war noch dabei, das zweite Bündel zu packen, als Elayne wiederkam und schweigend ein blaues Seidenkleid anzog. Schweigend, außer ein paar Flüchen, wenn sie sich die Arme nach hinten verrenken musste, um die Knöpfe zu schließen. Nynaeve hätte ja geholfen, wenn sie darum gebeten worden wäre, aber da Elayne nicht daran dachte, musterte sie lediglich den Körper der anderen Frau beim Umziehen, ob sie irgendwelche Schrammen aufwies. Sie glaubte, Elayne nur wenige Minuten vor ihrer Rückkehr aufschreien gehört zu haben, und falls sie und Birgitte sich tatsächlich geschlagen hatten … Sie war nicht unbedingt froh darüber, keine Schrammen vorzufinden. Auf einem Flussschiff würde es im Grunde genauso eng zugehen wie in diesem Wohnwagen, und es würde noch schlimmer werden, wenn sich die beiden Frauen gegenseitig an die Kehle gingen. Und so hätte es vielleicht geholfen, wenn beide bereits hier etwas von ihrer scheußlichen Laune abreagiert hätten.
Elayne sagte kein Wort, während sie ihre eigenen Habseligkeiten zusammenpackte. Sie antwortete nicht einmal, als Nynaeve ganz freundlich fragte, wohin sie denn zuvor wie angeschossen gerast sei. Die Frage brachte Nynaeve lediglich ein gehobenes Kinn und einen eisigen Blick ein, als glaube dieses Kind, es säße bereits auf dem Thron ihrer Mutter.
Elaynes Schweigen konnte manchmal mehr sagen als viele Worte. Als sie nur noch drei Geldbeutel vorfand, hielt sie kurz inne, bevor sie sie in die Hand nahm, und in dieser Zeit sank die Temperatur im Wohnwagen spürbar. Dabei stellten die drei genau ihren Anteil dar. Nynaeve hatte ihre Nörgelei darüber satt, wie sie das Geld ausgab oder nicht. Sollte sie doch selbst sehen, wie die Münzen abnahmen. Vielleicht sah sie dann endlich ein, dass sie möglicherweise einige Zeit mittellos auskommen mussten. Als Elayne allerdings entdeckte, dass auch der Ring weg war und lediglich der dunkle Kasten noch dastand …
Elayne
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