Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
war auch schon alles, was ihr übrigblieb. Die Beherrschung, auf die sie so stolz gewesen war, schwand zusehends. Ihre Kleidung verschwamm ob ihrer Angst. Angst um sich selbst, um Egwene, Rand und Lan, und Moghediens wegen. Von einer Minute zur nächsten wurde aus dem festen Zwei-Flüsse-Wollkleid ein dicker Umhang mit einer tiefen Kapuze, aus diesem wieder ein Kettenhemd der Weißmäntel und daraus das rote Seidenkleid, aber diesmal durchsichtig, dann wieder ein noch dichterer Umhang und … Sie glaubte zu spüren, dass sich auch ihr Gesicht veränderte. Einmal blickte sie auf ihre Hände hinab, und deren Haut war dunkler als die Juilins. Wenn Moghedien sie vielleicht doch nicht erkannte …
»Egwene!« Der letzte heisere Ruf verhallte zwischen den Säulen, und Nynaeve zwang sich, ein letztes Mal schaudernd auf hundert zu zählen. Der große Saal blieb bis auf sie selbst leer. Sie wünschte beinahe, etwas mehr Bedauern zu empfinden und nicht nur erleichterte Eile, aber sie trat aus dem Traum heraus … und lag da, den Steinring an seiner Lederschnur in den Fingern, starrte die dicken Balken über dem Bett an und lauschte dem tausendfachen Knirschen und Quietschen und Knarren, all den Geräuschen des Schiffs, das durch die Dunkelheit flussabwärts schaukelte.
»War sie da?«, wollte Elayne wissen. »Du warst nicht lange weg, aber …«
»Ich bin es leid, immer Angst zu haben«, sagte Nynaeve, ohne den Blick von den Balken zu wenden. »Ich bis es s-so leid, ein F-feigling zu sein!« Bei diesen Worten brach sie in Tränen aus, die sie weder aufhalten noch verbergen konnte, gleich, wie sehr sie auch ihre Augen rieb.
Elayne war augenblicklich bei ihr, hielt sie in den Armen und streichelte ihr über das Haar. Einen Moment später presste ihr Birgitte ein in kühlem Wasser getränktes Tuch in den Nacken. Sie weinte sich bei ihnen aus, während sie ihr versicherten, sie sei kein Feigling.
»Wenn ich glaubte, Moghedien sei hinter mir her«, sagte Birgitte schließlich, »würde ich davonlaufen. Und wenn es keinen anderen Ort gäbe, mich zu verbergen, als einen Dachsbau, dann würde ich mich eben da hineinzwängen und zusammenrollen und schwitzen, bis sie wieder weg wäre. Ich würde mich ja auch nicht vor einen von Cerandins S’redit stellen, wenn er angreift. Und beides hat nichts mit Feigheit zu tun. Du musst selbst den Zeitpunkt und den Ort des Kampfes bestimmen und sie dann auf eine Weise angreifen, die sie am wenigsten erwartet. Ich werde mich an ihr rächen, wenn mir dazu eine Möglichkeit gegeben wird, aber nur dann. Alles andere wäre idiotisch.«
Das war eigentlich nicht das, was Nynaeve gern hören wollte, aber ihre Tränen und der Trost der beiden rissen eine weitere Lücke in die Dornenhecke, die zwischen ihnen emporgewachsen war.
»Ich werde dir beweisen, dass du kein Feigling bist.« Elayne griff nach dem dunklen Holzkasten auf dem Regal, auf das sie ihn gestellt hatte, und nahm die Eisenscheibe mit der spiralförmigen Gravur heraus. »Wir gehen noch einmal zusammen hin.«
Das hatte Nynaeve noch weniger hören wollen. Doch es gab keine Möglichkeit, dem zu entgehen, nachdem sie ihr eingeredet hatten, sie sei kein Feigling. Also gingen sie zurück.
Erst zum Stein von Tear, wo sie Callandor anblickten. Das war immer noch besser, als sich ständig nach hinten umzusehen und zu fragen, ob Moghedien dort auftauchte. Dann weiter zum Königlichen Palast in Caemlyn, wo Elayne die Führung übernahm, und schließlich nach Emondsfelde, diesmal unter Anleitung Nynaeves. Nynaeve hatte durchaus schon Schlösser und Paläste gesehen – mit ihren riesigen Sälen und weitgeschwungenen, bemalten Stuckdecken, den Marmorböden, dem Goldzierrat und den fein gewebten Teppichen und kunstvollen Wandbehängen, aber in diesem hier war immerhin Elayne aufgewachsen. Dieses Wissen im Kopf und die Bilder vor Augen halfen ihr, Elayne ein wenig besser zu verstehen. Sicher erwartete die Frau, dass die Welt vor ihr in den Staub sank, denn man hatte ihr das so beigebracht und das eben an einem Ort, der dies verständlich erscheinen ließ und wo nun wirklich jeder vor ihr kuschte.
Elayne, oder genauer gesagt, das des Ter’angreals wegen blasse Abbild Elaynes, war eigenartig still, während sie sich dort aufhielten. Andererseits war auch Nynaeve still, als sie sich in Emondsfelde befanden. Zum einen war das Dorf größer als in ihrer Erinnerung. Es standen schon mehr strohgedeckte Häuser dort als früher, und weitere hölzerne
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