Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
davon zu ahnen.
Das Beben hatte aufgehört. In Moghediens Augen stand wieder die blanke Angst. Nach dem, was Nynaeve durch den A’dam hindurch spürte, war es ein Wunder, dass die Frau sich nicht auf dem Boden krümmte, schrie und Schaum vor dem Mund hatte. Nynaeve war ja auch ein wenig nach Schreien zumute. Sie zwang sich, den Fuß auf die nächste Stufe zu stellen. Aufwärts war so gut wie abwärts. Der zweite Schritt war fast genauso schwer. Ganz langsam. Nicht nötig, zu plötzlich auf ihn zu stoßen. Er musste derjenige sein, der überrascht wurde. Moghedien schlich zitternd wie ein geprügelter Hund hinter ihr her.
Beim Erklimmen der Treppe saugte Nynaeve so viel von Saidar in sich hinein, wie sie nur konnte, so viel Moghedien bewältigte, bis hin zu dem Punkt, an dem die Süße der Macht schon fast schmerzte. Das war ihr eine Warnung. Noch mehr, dann würde sie sich dem Punkt nähern, wo es mehr wurde, als sie bewältigen konnte, dem Punkt, an dem sie sich selbst einer Dämpfung ausliefern und ihre Fähigkeit zum Gebrauch der Macht ausbrennen würde. Oder, die augenblicklichen Umstände eingerechnet, Moghediens Fähigkeiten. Oder bei beiden zugleich. Wie auch immer, es käme jetzt einer Katastrophe gleich. Sie bewegte sich ständig an der Grenze, und dieses … Leben … füllte sie wie eine Nadel, die kurz davorstand, die Haut zu durchstoßen. Es war so viel, wie sie selbst hätte aufnehmen können, allein und ohne Hilfe. Sie und Moghedien waren, was den Gebrauch der Macht betraf, etwa gleich stark. Das hatte sich auch in Tanchico erwiesen. Reichte das jetzt? Moghedien bestand darauf, dass diese Männer stärker seien. Rahvin zumindest – denn den kannte Moghedien –, und es schien ihr unwahrscheinlich, dass Rand so lange überlebt hätte, wäre er nicht ebenfalls so stark. Es war nicht fair, dass die Männer nicht nur die kräftigeren Muskeln besaßen, sondern auch mehr Kraft in Bezug auf die Macht. Die Aes Sedai in der Burg hatten immer behauptet, sie seien in etwa gleich. Es war einfach nicht …
Sie versuchte nur, sich selbst abzulenken. Also holte sie tief Luft und zog Moghedien hinter sich her von der Treppe weg. Höher hinauf führte sie nicht.
Dieser Flur war auch leer. Sie ging zur Abzweigung und spähte um die Ecke. Und da war er. Ein hochgewachsener, ganz in Schwarz gekleideter Mann mit weißen Strähnen im dunklen Haar, der durch die gewundenen Lücken im Fenstergitter auf etwas hinabblickte. Auf seinem Gesicht stand Schweiß, und die Anstrengung war ihm anzusehen, doch er schien zu lächeln. Es war ein gutaussehendes Gesicht, so wie das Galads, aber in diesem Fall verspürte sie keinen beschleunigten Puls.
Was er da auch anstarrte – Rand vielleicht? – nahm seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch, doch Nynaeve gab ihm so oder so keine Chance, sie zu entdecken. Es konnte ja wirklich Rand dort unten sein. Sie wusste nicht, ob Rahvin die Macht lenkte oder nicht. Sie füllte den Korridor um ihn herum von einer Wand zur anderen mit Feuer, vom Boden bis zur Decke, warf alle Energie Saidars hinein, die sie aufgenommen hatte. Das Feuer brannte so heiß, dass sogar der Stein zu qualmen begann. Sie zuckte vor dieser Hitze zurück.
Rahvin schrie inmitten der Flammen auf – es war eine einzige Flamme – und taumelte davon, dorthin, wo der Flur in eine von Säulen gestützte Arkade überging. Ein Herzschlag, noch weniger, während sie noch zuckte, und dann stand er von klarer Luft umgeben mitten im Feuer. Jedes bisschen Saidar , das sie beherrschen konnte, floss in dieses Inferno, und doch widerstand er ihm. Sie konnte ihn durch die Flamme hindurch sehen. Das Feuer warf einen roten Lichtschein über alles, aber sehen konnte sie trotzdem. Rauch erhob sich von seinem angesengten Mantel. Sein Gesicht war eine verbrannte Schreckensmaske. Eines seiner Augen war milchig weiß. Und doch blickten beide Augen bösartig auf sie, als er sich zu ihr umdrehte.
Aus der Leine des A’dams erreichte sie überhaupt kein Gefühl mehr, nur bleierne Müdigkeit. Nynaeves Magen flatterte. Moghedien hatte aufgegeben. Aufgegeben, weil der Tod auf sie beide wartete.
Feuer schob heiße Zungen durch die Fenstergitter über Rand hinweg, füllte jede Öffnung und tanzte auf die Arkade zu. Als das geschah, war mit einem Mal der Kampf in seinem Innern wie weggeblasen. Er war so plötzlich ganz er selbst, dass es ihn wie ein Schock traf. Er hatte verzweifelt an Saidin festgehalten und sich bemüht, so viel wie eben möglich
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