Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
Quelle zog sich vor ihm zurück; das Nichts schrumpfte. Panik flammte jenseits der gefühllosen Leere auf. In welches Wesen ihn Rahvin auch verwandeln wollte, die Macht konnte es jedenfalls nicht lenken. Saidin begann, ihm zu entschlüpfen, würde dünner, selbst als er es durch das Angreal einsog. Die Balkone und die Arkade starrten leer und höhnisch auf ihn herab. Rahvin musste sich an einem dieser Fenster mit ihren Steingittern befinden, doch an welchem? Diesmal besaß er nicht mehr die Kraft, hundert Blitze auszusenden. Ein einziger Strahl. Das konnte er noch schaffen. Wenn er schnell war. Welches Fenster? Er kämpfte, um er selbst zu bleiben, kämpfte, Saidin in sich aufnehmen zu können, und hieß sogar jeden Anflug von Verderbnis willkommen, weil er ihm zeigte, dass er immer noch an der Macht festhielt. Er taumelte in einem verzerrten Kreis herum, suchte vergeblich die Fenster ab und schrie Rahvins Namen. Es klang wie das Gebrüll eines Bären.
Nynaeve zog Moghedien hinter sich her und bog um eine Ecke. Vor ihr verschwand gerade ein Mann um die nächste Biegung. Das Geräusch seiner Stiefelschritte warf ein Echo in den leeren Gang. Sie wusste nicht, wie lange sie bereits diesen Stiefeln folgten. Manchmal waren die Schritte für eine Weile verklungen und sie hatte warten müssen, bis sie wieder erklangen, um zu entscheiden, in welche Richtung sie weitergehen mussten. Manchmal geschahen irgendwelche Dinge, wenn die Schritte verstummten. Sie hatte wohl nichts beobachtet, aber einmal hatte der ganze Palast wie eine Glocke gedröhnt, und ein andermal hatten sich ihr die Haare auf dem Kopf gesträubt, und die Luft schien zu knistern, und dann wieder … Es war nicht wichtig. Jetzt hatte sie zum ersten Mal einen Blick auf den Mann erhascht, zu dem diese Stiefel gehörten. Sie glaubte nicht, dass es sich bei dem Mann im schwarzen Mantel um Rand handelte. Die Größe stimmte, aber er war zu stämmig, besonders, was den Oberkörper betraf.
Sie rannte los, bevor ihr das überhaupt bewusst wurde. Aus ihren festen Schuhen waren längst Samtpantoffeln geworden, damit man ihre Schritte nicht hörte. Wenn sie ihn schon hörte, hätte er ja auch sie hören können. Moghediens panisches Keuchen war lauter als ihre Schritte.
Nynaeve erreichte die Biegung und blieb stehen. Vorsichtig spähte sie um die Ecke. Sie hielt Saidar – durch Moghedien zwar, aber es war ihre Macht – bereit, um augenblicklich zuschlagen zu können. Es war nicht notwendig. Der Gang war leer. Ganz hinten war eine Tür in einer Seitenwand zu sehen, die ansonsten eine Reihe von Fenstern mit kunstvoll durchbrochenen Steingittern aufwies. Sie glaubte nicht, dass er die Tür schon erreicht haben konnte. Etwas näher entdeckte sie eine Kreuzung, an der ein anderer Korridor nach rechts abzweigte. Dorthin eilte sie und spähte vorsichtig hinein. Leer. Doch nur ein kurzes Stück von der Abzweigung entfernt führte eine Wendeltreppe nach oben.
Einen Moment zögerte sie. Er war irgendwohin verschwunden. Dieser Korridor führte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Wäre er so gerannt, nur um zurückzukommen? Dann eben aufwärts.
Sie zerrte Moghedien weiter und erklomm langsam die Wendeltreppe. Sie strengte sich an, um jedes Geräusch hören zu können – über das fast hysterische Atmen der Verlorenen und das Pochen des Bluts in ihren Ohren hinweg. Falls sie ihm plötzlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand … Sie wusste ja, dass er sich vor ihr befand. Das Überraschungsmoment musste ganz auf ihrer Seite liegen.
Am ersten Absatz blieb sie stehen. Die Gänge von hier aus verliefen genau wie die unteren. Und sie waren auch genauso leer und still. War er weiter hinaufgestiegen?
Die Treppe zitterte leicht unter ihren Füßen, als sei der Palast von einer Ramme getroffen worden; dann noch einmal. Wieder dasselbe, während ein Strahl weißen Feuers durch den oberen Teil eines der durchbrochenen Fenstergitter fegte, dann schräg nach oben flackerte und wieder erlosch, als er gerade in die Decke hineinzuschneiden begann.
Nynaeve schluckte und blinzelte einige Male mit den Augen, um den violetten Schleier loszuwerden, der wie eine Erinnerung an den grellen Strahl ihre Sicht behinderte.
Das musste Rand gewesen sein, der versucht hatte, Rahvin zu treffen. Falls sie ihm zu nahe kam, würde Rand sie vielleicht durch puren Zufall treffen. Wenn er so um sich schlug – und so wirkte es auf sie –, konnte er sie jederzeit erwischen, ohne etwas
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