Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
wegzulaufen, einer Falle, in der er vermutlich ums Leben kommen würde.
Sie nippte an ihrem Wein, und ihre Stirn runzelte sich leicht. Möglich, dass sie bereits ihren Zweck bei ihm erreicht hatte, wenn sie an sich auch erwartete, sie werde dafür vier oder fünf Besuche benötigen. Sie musste einen Grund finden, ihn in Illian zu besuchen. Es war am besten, einen Patienten sorgfältig zu beobachten, und zwar auch nach dem Zeitpunkt, an dem man ihn anscheinend auf den richtigen Weg gebracht hatte.
Ob der Junge nun ein einfacher Bauernlümmel war oder wirklich der wiedergekehrte Lews Therin – und da konnte sie sich noch nicht entscheiden –, so hatte er sich in jedem Fall doch als entschieden zu gefährlich erwiesen. Sie diente dem Großen Herrn der Dunkelheit, aber sie hatte nicht vor, zu sterben, nicht einmal für den Großen Herrn. Sie würde für immer weiterleben. Selbstverständlich handelte man nicht gegen auch nur die unbedeutendsten Wünsche des Großen Herrn, wenn man nicht eine Ewigkeit damit verbringen wollte, qualvoll zu sterben, und eine weitere Ewigkeit, in der man sich nach dieser noch immer weniger schlimmen Agonie des langen Sterbens zurücksehnte. Dennoch, Rand al’Thor musste beseitigt werden, aber Sammael sollte dafür büßen. Falls ihm klar würde, dass er auf Rand al’Thor angesetzt worden war wie ein Dornat auf die Jagdbeute, wäre sie schon sehr überrascht. Nein, er war kein Mann, der solche Feinheiten durchschaute.
Aber er war keineswegs dumm. Es wäre interessant, herauszufinden, woher er von der Verschwörung bei diesen Kriminellen erfahren hatte. Sie selbst hätte das nie herausbekommen, wäre Mesaana nicht etwas im Zorn entschlüpft, weil sie ihrer Wut der Abwesenheit Semirhages wegen Luft machen musste. Ihr Zorn war so heftig gewesen, dass ihr überhaupt nicht klar geworden war, wie viel sie verraten hatte. Wie lange hatte Mesaana in der Weißen Burg gesteckt? Allein schon die Tatsache, dass sie sich dort befunden hatte, löste einige interessante Gedankengänge aus. Gäbe es eine Möglichkeit, zu entdecken, wo sich Demandred und Semirhage eingenistet hatten, dann war es vielleicht auch möglich, nachzuvollziehen, was sie zu tun vorhatten. Das hatten sie ihr nicht anvertraut. Oh, nein. Diese drei hatten schon seit der Zeit vor dem Krieg um die Macht zusammengearbeitet. Zumindest an der Oberfläche. Sie war sicher, dass sie auch untereinander genauso fleißig intrigiert hatten wie die anderen Auserwählten, aber ob nun Mesaana Semirhage das Wasser abgrub oder Semirhage Demandred, hatte sie doch nie einen Spalt gefunden, in den sie einen Keil zwischen die drei treiben könnte.
Ein Schaben von Stiefelsohlen kündete von einem Neuankömmling, aber es waren nicht die Männer, die den Teppich ersetzen und die Überreste Rashans entfernen sollten. Ebram war ein hochgewachsener, gut gebauter Domanijüngling in engen, roten Hosen und einem weiten, weißen Hemd. Er hätte durchaus in ihre Sammlung von Lieblingstierchen passen können, wäre er nicht lediglich der Sohn eines Kaufmannes gewesen. Seine dunklen, schimmernden Augen blickten sie eindringlich an, als er niederkniete. »Lord Ituralde ist angekommen, Große Herrin.«
Graendal stellte den Kelch auf einen Tisch, der auf den ersten Blick wirkte, als sei er mit den Elfenbeinfiguren von Tänzern eingelegt. »Dann soll er mit Lady Basene sprechen.«
Ebram erhob sich geschmeidig und bot der gebrechlichen Domanifrau, die er nun vor sich sah, seinen Arm an. Er wusste, wer hinter dieser geschickt gewobenen Illusion steckte, aber trotzdem schwand der Ausdruck der Verehrung auf seiner Miene ein wenig. Sie wusste: es war Graendal und nicht Basene, die er anbetete. Im Augenblick war ihr das gleichgültig. Sammael war zumindest einmal auf Rand al’Thor angesetzt, vielleicht auch schon auf ihn fixiert. Was Demandred und Semirhage und Mesaana betraf … Nur sie selbst wusste davon, dass auch sie allein eine Reise zum Shayol Ghul und hinunter zu dem Feuersee unternommen hatte. Nur sie wusste davon, dass ihr der Große Herr fast schon den Rang des Nae’blis versprochen hatte, und dieses Versprechen würde er sicherlich halten, war erst einmal Rand al’Thor aus dem Weg geräumt. Sie würde des Großen Herrn gehorsamste Dienerin sein. Sie würde Chaos säen, bis Demandreds Lunge bei der Ernte explodierte.
Semirhage ließ die eisenbeschlagene Tür hinter sich zufallen. Eine der Glühbirnen, der Große Herr allein mochte wissen, aus welchen
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