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Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)

Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)

Titel: Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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Überresten sie stammte, flackerte ständig, warf aber immer noch ein helleres Licht als die Kerzen und Öllampen, mit denen sie sich in diesem Zeitalter abfinden musste. Vom Lichtschein abgesehen, machte dieser Ort den beklemmenden Eindruck eines Gefängnisses, mit seinen rauen Steinwänden und dem blanken Fußboden. Nur ein kleiner, grob gezimmerter Holztisch stand in der einen Ecke. Das war nicht ihr Einfall gewesen. Wäre es nach ihr gegangen, dann wäre hier alles fleckenlos weiß gewesen und hätte vor Cueran nur so geschimmert, glatt geleckt und steril. Dieser Ort war vorbereitet worden, bevor sie von der Notwendigkeit dazu erfahren hatte. Eine in Seide gekleidete Frau mit blassem Haar hing mitten im Raum an gespreizten Armen und Beinen offensichtlich im Leeren und blickte sie trotzig an. Eine Aes Sedai. Semirhage hasste die Aes Sedai.
    »Wer seid Ihr?«, wollte die ›Patientin‹ wissen. »Gehört Ihr zu den Schattenfreunden? Oder seid Ihr eine Schwarze Schwester?«
    Semirhage beachtete den Lärm gar nicht, sondern überprüfte nur kurz den Puffer, der zwischen der Frau und Saidar lag. Sollte er versagen, konnte sie dieses erbärmliche Bündel wohl problemlos abschirmen – es war schon ein deutliches Anzeichen für die Schwäche einer Frau, wenn sie sich leisten konnte, den verknoteten Puffer unbeobachtet zurückzulassen –, aber die Vorsicht war ihr zur zweiten Natur geworden, und so tat sie stets nur einen Schritt nach dem anderen. Nun zur Kleidung dieser Frau. Angezogen fühlte man sich für gewöhnlich sicherer als ohne jede Bekleidung. Sie verwob ganz feine Stränge aus Feuer und Wind und schnitt damit das Kleid und das Unterhemd und jeden Fetzen Kleidung bis hinunter zu den Schuhen der Patientin vorsichtig ab. Sie ließ alles in Sichthöhe der Frau zusammenrutschen, bis ein festes Bündel daraus geworden war, und dann gebrauchte sie die Macht erneut, Feuer und Erde diesmal, mit dem Resultat, dass feiner Staub auf den Steinboden herabrieselte.
    Die blauen Augen der Frau quollen beinahe heraus. Semirhage bezweifelte, dass sie diese einfachen Dinge hätte nachmachen können, selbst wenn sie fähig gewesen wäre, das Gewebe zu durchschauen.
    »Wer seid Ihr?« Diesmal klang die Aufforderung bereits reichlich nervös. Vielleicht lag es an ihrer Furcht. Es war immer gut, wenn die sich bereits in diesem frühen Stadium bemerkbar machte.
    Semirhage machte ganz genau die Zentren im Hirn der Frau aus, die Botschaften des Schmerzes aus ihrem Körper empfangen würden, und dann fing sie methodisch damit an, diese Schmerzzentren mithilfe von Geist und Feuer zu reizen. Anfangs nur ein klein wenig, dann steigerte sie den Reiz. Zu viel auf einmal konnte einen Patienten innerhalb weniger Augenblicke töten, aber es war schon bemerkenswert, wieweit man die Schmerzempfindung steigern konnte, wenn man in ganz winzigen Schritten vorwärtsging. An etwas zu arbeiten, was sie nicht sehen konnte, war eine schwierige Aufgabe, selbst aus dieser Nähe, doch sie verstand so viel von den Reaktionen eines menschlichen Körpers wie wohl kaum jemand vor ihr.
    Die mit abgespreizten Gliedmaßen da hängende Patientin bewegte den Kopf, als wolle sie den beginnenden Schmerz abschütteln, doch dann wurde ihr bewusst, dass es nicht möglich war, und sie starrte Semirhage mit großen Augen an. Semirhage dagegen beobachtete nur und behielt ihr Gewebe bei. Selbst bei der hier gebotenen Eile konnte sie sich doch ein wenig Geduld leisten.
    Wie sie all jene hasste, die sich als Aes Sedai bezeichneten! Sie war selbst eine gewesen, eine echte Aes Sedai und nicht so eine ignorante Närrin wie dieser Einfaltspinsel, der da vor ihr hing. Sie war bekannt gewesen, sogar berühmt, war in jede Ecke der Welt gerufen worden, weil sie die Fähigkeit besaß, jede Verletzung zu heilen, selbst Menschen vom Rande des Todes zurückzuholen, wo jede andere behauptete, es gebe keine Rettung mehr. Und eine Delegation vom Saal der Dienerinnen hatte ihr etwas angeboten, was man nicht mehr als freie Wahl bezeichnen konnte: sich entweder binden zu lassen und damit auf ihre ganze Freude zu verzichten, und durch diese Bindung wahrnehmen zu können, wenn sich das Ende ihres Lebens näherte, oder von der Macht abgeschnitten und von den Aes Sedai ausgestoßen zu werden. Sie hatten von ihr erwartet, dass sie die Bindung akzeptierte, denn das war nur logisch und folgerichtig gedacht, und es waren ja alles vernünftige, gesetzte Männer und Frauen. Sie hätten nie gedacht,

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