Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
heute. Alanna selbst zeigte kein Interesse daran, das Durcheinander mit den anderen zu bereinigen, das sie angerichtet hatte. Sie stand in der Mitte des Schenkraums, hatte die Arme verschränkt und blickte ins Leere. Jedem anderen als einer Aes Sedai musste sie wie die Gestalt gewordene Würde vorkommen. Verin jedoch kam Alanna wie eine Frau vor, die kurz vor einem Wutausbruch stand.
Verin berührte ihren Arm. »Wir müssen uns unterhalten.« Alanna sah sie mit einem undurchschaubaren Blick an und glitt dann wortlos in Richtung des privaten Speisezimmers.
Hinter sich hörte Verin Meister Dilham mit zittriger Stimme sagen: »Glaubt Ihr, ich kann damit werben, dass der Wiedergeborene Drache Gast in meiner Schenke war? Er war schließlich da.« Einen kurzen Moment lächelte sie. Er würde also darüber hinwegkommen. Ihr Lächeln verflog jedoch, als sie die Tür hinter sich und Alanna schloss. Nun waren sie unter vier Augen.
Alanna tigerte bereits in dem kleinen Raum umher. Die Seide ihres Hosenrocks verursachte beim Ausschreiten ein Geräusch, als gleite ein Schwert aus der Scheide. Nun strömte ihre Miene keinerlei Würde mehr aus. »Die Frechheit dieses Mannes! Diese unglaubliche Frechheit! Uns hier einzusperren! Unsere Bewegungsfreiheit einzuschränken!«
Verin beobachtete sie ein paar Augenblicke lang, bevor sie etwas dazu sagte. Sie hatte zehn Jahre lang gebraucht, um über Balinors Tod hinwegzukommen und Ihvon an sich zu binden. Alanna war aufgewühlt gewesen, seit Owein gestorben war, und sie hatte alles viel zu lange nur in sich hineingefressen. Die paarmal, die sie sich seit der Abreise von den Zwei Flüssen heimlich ausgeweint hatte, waren bei Weitem nicht ausreichend gewesen. »Ich denke schon, dass er uns mit Wachen am Tor von der Innenstadt fernhalten kann, aber in Caemlyn festhalten kann er uns nicht.«
Das brachte ihr den vernichtenden Blick ein, den sie erwartet hatte. Sie könnten ohne große Schwierigkeiten abreisen – so viel Rand auch dazugelernt haben mochte, war die Wahrscheinlichkeit doch gering, dass er auf die Technik der Wachgewebe gestoßen war – aber das würde bedeuten, dass sie die Mädchen von den Zwei Flüssen zurücklassen müssten. Keine Aes Sedai hatte einen solchen Schatz wie den in den Zwei Flüssen gefunden, seit … Verin konnte sich gar nicht vorstellen, wie lange das her sein musste. Möglicherweise nicht mehr seit den Trolloc-Kriegen. Sogar junge Frauen von achtzehn Jahren – und da hatten sie die Grenze gesetzt – fanden es oftmals unerträglich, die Einschränkungen auf sich zu nehmen, die eine Novizin erdulden musste, doch hätten sie diese Grenze auch nur um fünf Jahre hinausgeschoben, wären es bestimmt doppelt so viele geworden, wenn nicht mehr. Bei fünf dieser Mädchen – fünf! – war das Talent angeboren, Mats Schwester und Elle und die junge Janacy eingeschlossen, und sie würden irgendwann die Macht benützen, ob man es ihnen nun beibrachte oder nicht, und dann würden sie auch sehr stark werden. Sie und Alanna hatten alle diese Talente aufgespürt, und zwei weitere hatten sie noch zurückgelassen, um sie in einem Jahr abzuholen, wenn sie alt genug waren, um von zu Hause wegzugehen. Das war ohne Weiteres möglich, denn die angeborenen Fähigkeiten zeigten sich für gewöhnlich erst, wenn die Mädchen etwa fünfzehn waren. Doch die anderen gaben bereits zu höchsten Erwartungen Anlass, und zwar alle von ihnen. Die Zwei Flüsse stellten in dieser Hinsicht die reinste Goldader dar.
Jetzt, da sie die Aufmerksamkeit der anderen Frau erregt hatte, wechselte Verin das Thema. Sie hatte gewiss nicht die Absicht, diese jungen Frauen im Stich zu lassen. Genauso wenig beabsichtigte sie, sich noch einmal weiter von Rand zu entfernen als unbedingt notwendig. »Glaubt Ihr, dass er recht hat hinsichtlich der Rebellen?«
Alannas Hände verkrampften sich einen Augenblick lang in ihren Rock. »Die bloße Möglichkeit stößt mich ab! Sind wir wirklich so tief gesunken …?« Sie ließ die Worte verklingen, die ohnehin so hoffnungslos geklungen hatten. Die Schultern hingen ihr herunter. Tränen standen ihr in den Augen, und sie konnte sie nur mit Mühe zurückhalten.
Nun, da der Zorn der anderen Frau verraucht war, musste ihr Verin einige Fragen stellen, bevor die Erregung zurückkehrte. »Besteht irgendeine Aussicht, dass Eure Metzgersfrau Euch mehr darüber berichten kann, was sich in Tar Valon abgespielt hat, falls Ihr ein wenig nachbohrt?« Die Frau war keine
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