Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Fäuste der Menschen, die gerade noch vor Jeade’ens Hufen zur Seite springen konnten. Hinter sich ließ er umgekippte Sänften und Kutschen zurück, deren Räder sich in denen von Marktkarren verkeilt hatten. Bashere und seine Soldaten aus Saldaea konnten auf ihren kleineren Pferden kaum mithalten. Er wusste selbst nicht, warum er sich so beeilte. Die Neuigkeiten, die er mitbrachte, waren nicht derart dringlich. Doch als das Zittern seiner Arme und Beine langsam nachließ, wurde ihm immer deutlicher bewusst, dass er nach wie vor Alannas Gegenwart spürte. Er konnte sie fühlen. Es war, als sei sie in seinen Kopf hineingekrochen und habe es sich dort bequem gemacht. Wenn er sie auf diese Art fühlte , konnte sie seine Anwesenheit dann auch spüren? Was sonst eigentlich? Was sonst? Er musste ihr entkommen.
Stolz, gackerte Lews Therin in seinem Hinterkopf, und ausnahmsweise einmal bemühte sich Rand nicht, die Stimme zu unterdrücken.
Er hatte ein anderes Ziel als den Palast im Sinn, aber beim Schnellen Reisen musste man den Ort, den man verließ, noch besser kennen als den, zu dem man reisen wollte. Am Südstall warf er einem Stallburschen mit Lederweste die Zügel seines Hengstes zu und rannte los. Seine langen Beine ließen ihn schnell einen Vorsprung vor den Männern aus Saldaea gewinnen. In den Gängen stierten die Diener überrascht hinter ihm her, und ihre Knickse und Verbeugungen erstarrten, als er an ihnen vorüberhetzte. Im Großen Saal griff er nach Saidin , öffnete ein Loch in der Luft und sprang beinahe hindurch auf die kleine Lichtung in der Nähe des Bauernhofs. Dort ließ er die Wahre Quelle wieder los.
Er atmete lang gezogen aus und sank auf dem Teppich abgestorbener Blätter auf die Knie. Die Hitze unter dem Dach aus kahlen Ästen prügelte auf ihn ein. Er hatte schon vor einer ganzen Weile die notwendige Konzentration verloren, um die Hitze von sich abgleiten zu lassen. Er spürte immer noch ihre Gegenwart, doch hier war es schwächer, falls man das sichere Gefühl, sie befände sich genau in dieser Richtung, als schwächer bezeichnen wollte. Er hätte mit geschlossenen Augen in ihre Richtung deuten können.
Einen Moment lang ergriff er erneut Saidin , diesen tosenden Strom aus Feuer und Eis und säuerlichem Matsch. Er hielt ein Schwert in Händen, ein Schwert, aus Feuer geschmiedet, aus dem Feuer der Macht. Ein Reiher stach dunkel von der rot glühenden, leicht gekrümmten Klinge ab. Er konnte sich nicht erinnern, bewusst daran gedacht zu haben, Feuer, und doch fühlte sich das lange Griffstück kühl und fest an. Das Nichts spielte dabei keine Rolle, und auch die Macht änderte nichts daran. Alanna befand sich immer noch dort, lag gemütlich zusammengerollt in einem Winkel seines Hirns und beobachtete ihn.
Mit einem bitteren Auflachen ließ er die Macht wieder fahren und kniete einfach da. Er hatte sich so sicher gefühlt. Nur zwei Aes Sedai. Selbstverständlich konnte er mit ihnen fertig werden; er hatte auch Egwene und Elayne zusammen im Schach gehalten. Was könnten sie ihm schon antun? Ihm wurde bewusst, dass er immer noch lachte. Er schien nicht in der Lage zu sein, damit aufzuhören. Na ja, es war wirklich komisch. Sein törichter Stolz. Übersteigertes Selbstvertrauen. Das hatte ihn schon früher in Schwierigkeiten gebracht, und nicht nur ihn selbst. Er war so sicher gewesen, dass er im Verbund mit den Hundert Gefährten den Stollen fest verschließen könne …
Dürre Blätter raschelten, als er sich zum Aufstehen zwang. »Das war ich nicht!«, sagte er heiser. »Das war nicht ich! Raus aus meinem Kopf! Das gilt für Euch alle: raus aus meinem Kopf!« Lews Therins Stimme murmelte undeutlich und fern. Alanna wartete schweigend und geduldig in seinem Hinterkopf. Die Stimme schien sich vor ihr zu fürchten.
Rand klopfte sich den Schmutz von den Knien seiner Hose. Er würde sich nicht so einfach in sein Schicksal ergeben. Traue keiner Aes Sedai – das würde er von nun an beherzigen. Ein Mann ohne Vertrauen ist so gut wie tot, kicherte Lews Therin. Er würde nicht nachgeben.
Nichts hatte sich hier an dem Bauernhof verändert. Nichts, und doch alles. Wohnhaus und Scheune waren die gleichen, genau wie die Hühner und Ziegen und Kühe. Sora Grady beobachtete seine Ankunft mit kalter und nichtssagender Miene von einem Fenster aus. Sie war nun die einzige Frau hier; all die anderen Ehefrauen und Freundinnen waren mit den Männern fortgezogen, die Taims Prüfungen nicht bestanden hatten.
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