Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
weiß«, seufzte Nynaeve. »Jedenfalls habe ich es den Aes Sedai berichtet.« Und das entsprach der Wahrheit. Nichts von dem, was sie wusste, konnte ihm schaden, jedenfalls nicht in höherem Maße als das bloße Wissen darum, was er war, und es könnte hilfreich sein, wenn sie die Schwestern dazu brachte, ihn als Mann zu betrachten. Nicht als Mann, der mit der Macht umgehen konnte, sondern nur einfach als Mann. Nicht gerade leicht, wenn es um den Wiedergeborenen Drachen ging. »Ich weiß nicht mehr als das.«
»Schmollt gefälligst nicht«, fauchte Delana. »Und weicht mir nicht aus.«
Nynaeve stellte ihre Tasse wieder auf die Untertasse und wischte sich das Handgelenk am Rock ab.
»Kind«, sagte Janya voller Mitgefühl, »ich weiß, Ihr glaubt, uns alles gesagt zu haben, was Ihr wisst, aber Delana … Ich kann nicht glauben, dass Ihr etwas absichtlich zurückhalten würdet …«
»Und warum nicht?«, fuhr Delana sie an. »Im gleichen Dorf geboren. Mit ihm aufgewachsen. Ihre Loyalität gilt möglicherweise viel eher ihm als der Weißen Burg.« Dieser Rasiermesserblick konzentrierte sich wieder auf Nynaeve. »Berichtet uns etwas, das wir noch nicht gehört haben. Ich habe Eure sämtlichen Berichte gehört Mädchen, also weiß ich Bescheid und merke, wenn Ihr nur wiederholt.«
»Gebt Euch Mühe, Kind. Ich bin sicher, Ihr wollt nicht, dass Delana Euch böse ist. Also …« Janya schwieg, als ein erneutes Räuspern ertönte.
Nynaeve hoffte, sie würden das Klappern ihrer Teetasse so deuten, dass auch sie erschüttert sei. Verängstigt hierhergeschleppt zu werden – nein, nicht verängstigt; aber doch zumindest besorgt, wie zornig die beiden wohl wären –, und nun dies! Wenn man sich in der Nähe von Aes Sedai aufhielt, lernte man schnell, genau hinzuhören. Vielleicht erfuhr man auch dann noch nicht, was sie wirklich meinten, aber die Chancen standen auf jeden Fall besser als beim flüchtigen Hinhören, wie es die meisten Leute für gewöhnlich taten. Keine von beiden hatte behauptet, sie glaube, dass sie etwas zurückhielt. Sie wollten sie lediglich einschüchtern, in der Hoffnung, es werde etwas Neues dabei herauskommen. Sie ließ sich aber nicht einschüchtern. Jedenfalls nicht sehr. Stattdessen war sie wütend.
»Als er noch ein Junge war«, begann sie vorsichtig, »ließ er eine Bestrafung ohne Murren über sich ergehen, wenn er glaubte, sie verdient zu haben, aber wenn er nicht dieser Meinung war, kämpfte er jeden Moment dagegen an.«
Delana schnaubte: »Das habt Ihr jeder gesagt, die es hören wollte. Etwas anderes. Und plötzlich!«
»Ihr könnt ihn führen oder auch überzeugen, aber er lässt sich nicht herumschubsen. Er stemmt sich dagegen, wenn er glaubt, Ihr wolltet …«
»Genauso wie dies.« Die Hände auf die breiten Hüften gestützt beugte sich Delana herunter, bis ihr Gesicht sich auf gleicher Höhe wie Nynaeves befand. »Etwas, das Ihr noch nicht jeder Köchin und Wäscherin in Salidar erzählt habt.«
»Bemüht Euch doch, Kind«, sagte Janya, und ausnahmsweise beließ sie es dabei.
So bohrten sie immer weiter. Janya spornte sie mitleidig an, während Delana gnadenlos nachhakte, und Nynaeve berichtete jede Einzelheit, an die sie sich erinnern konnte. Es brachte ihr allerdings keine Erleichterung ein, denn sie hatte jede Einzelheit schon so oft erzählt, dass sie alles auswendig herleiern konnte, worauf sie Delana freundlich hinwies. Nein, nicht sehr freundlich. Als Nynaeve es schließlich schaffte, einen Schluck Tee zu trinken, schmeckte er abgestanden und so süß, dass es sie grauste. Janya glaubte offensichtlich wirklich, junge Frauen hätten gern jede Menge Honig drin. Der Vormittag verging langsam. Quälend langsam.
»Das bringt uns nicht weiter«, sagte Delana schließlich, wobei sie Nynaeve so böse ansah, als sei das ihre Schuld.
»Kann ich jetzt gehen?«, fragte Nynaeve erschöpft. Jeder Tropfen Schweiß, der ihre Kleidung durchnässte, schien aus ihr herausgequetscht worden zu sein. Sie fühlte sich schlapp. Und sie hätte gern diese beiden kühlen Aes-Sedai-Gesichter geohrfeigt.
Delana und Janya tauschten einen Blick. Die Graue zuckte die Achseln und ging hinüber zu dem Nebentischchen, um wieder eine Tasse Tee einzugießen. »Sicher könnt Ihr gehen«, sagte Janya. »Ich weiß, dies alles muss sehr schwer für Euch sein, aber wir müssen Rand al’Thor besser kennen als er sich selbst, um zu entscheiden, welche die beste Vorgehensweise ist. Ansonsten könnte alles in
Weitere Kostenlose Bücher