Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
nicht früh aufstehen. Nach einer ganzen Nacht außerhalb ihres Körpers – ihre Wangen liefen erneut rot an; Licht, würde sie den Rest ihres Lebens über eines Traums wegen erröten? Sie fürchtete es fast – hatte sie es wohl verdient, bis zum Nachmittag zu schlafen. Der Duft nach heißem Haferbrei konnte es mit ihren schweren Augenlidern nicht aufnehmen.
Träge schlich sie zu ihren Decken zurück und ließ sich schwer darauffallen, wobei sie sich die Schläfen rieb. Sie war sogar zu müde, um sich noch Tee aus Schlafgut-Wurzel zu bereiten, aber in diesem Zustand war es ohnehin egal, und sie brauchte die Hilfe nicht. Der dumpfe Kopfschmerz ließ gewöhnlich nach etwa einer Stunde nach, also würde sie beim Erwachen nichts mehr davon spüren.
Alles in allem war es keine Überraschung, wenn sie von Gawyn träumte. Manchmal wiederholte sie sogar einen seiner Träume, wenn auch nicht ganz genau, denn in ihren Versionen kamen gewisse anstößige Dinge nicht vor oder wurden von ihr geflissentlich übergangen, Gawyn verbrachte dann erheblich mehr Zeit damit, ihr Gedichte darzubringen und sie in den Armen zu halten, während sie Sonnenaufgänge oder -untergänge beobachteten. Er stotterte auch keineswegs, wenn er ihr sagte, dass er sie liebe. Und er sah so gut aus wie in Wirklichkeit. Andere Träume waren ganz und gar ihre eigenen. Zarte Küsse, die eine Ewigkeit lang dauerten. Er kniete vor ihr, und sie nahm seinen Kopf in beide Hände. Zweimal, und zwar gleich hintereinander, träumte sie davon, ihn an den Schultern zu packen und zu versuchen, ihn gegen seinen Willen umzudrehen. Einmal schob er ihre Hände grob beiseite, während sie beim zweiten Mal etwas stärker war als er. Die beiden Träume überlagerten sich ein wenig in ihrem Gedächtnis. In einem weiteren machte er sich daran, eine Tür vor ihrer Nase zu schließen, und sie wusste: sobald der immer enger werdende lichterfüllte Spalt sich schloss, musste sie sterben.
Die Träume überschlugen sich in ihrem Kopf. Nicht alle handelten von ihm, und die meisten waren Albträume.
Perrin kam und stand vor ihr. Zu seinen Füßen lag ein Wolf, und in seine Schultern hatten sich ein Habicht und ein Falke festgekrallt die sich über seinen Kopf hinweg zornig anfunkelten. Er bemerkte die beiden offensichtlich nicht und versuchte immer wieder, diese Axt wegzuwerfen, bis er schließlich wegrannte, und die Axt schwebte durch die Luft und verfolgte ihn. Wiederum Perrin: Er wandte sich von einem Kesselflicker ab und rannte weg, immer schneller, obwohl sie ihm zurief, er solle zurückkommen. Mat sagte Worte in einer seltsamen Sprache, die sie beinahe verstand – sie glaubte, es müsse sich um die Alte Sprache handeln –, und zwei Raben setzten sich auf seine Schultern. Ihre Krallen bohrten sich durch den Mantel tief in sein Fleisch hinein. Er schien sie genauso wenig zu bemerken wie Perrin den Habicht und den Falken, doch dann stand Trotz in seiner Miene, und später düstere Resignation. In einem anderen lockte ihn eine Frau, deren Gesicht in Schatten gehüllt war, auf eine große Gefahr zu. Egwene wusste nicht, was es war, nur, dass die Gefahr von etwas Ungeheurem ausging. Mehrere Träume handelten von Rand, nicht einmal in jedem Falle schlimm, aber allesamt eigenartig. Elayne, die ihn mit einer Hand auf die Knie zwang. Elayne und Min und Aviendha, die in einer schweigenden Runde um ihn saßen. Jede berührte ihn nacheinander mit einer Hand. Er schritt auf einen brennenden Berg zu, und unter seinen Stiefeln wurde etwas zermalmt. Sie wälzte sich herum und wimmerte leise, denn die zermalmten Gegenstände waren Siegel vom Gefängnis des Dunklen Königs, die bei jedem Schritt zerbrachen. Sie wusste es. Sie musste sie gar nicht sehen, um das zu wissen.
Als ihre Angst wuchs, wurden ihre Träume schlimmer. Die beiden fremden Frauen, die sie in Tel’aran’rhiod gesehen hatte, fingen sie und zerrten sie an einen Tisch, an dem viele Frauen mit heruntergezogenen Kapuzen saßen, und als sie die Kapuzen zurückschlugen, war jede von ihnen Liandrin, die Schwarze Schwester, die sie in Tear gefangen hatte. Eine Seanchanerin mit hartem Gesicht gab ihr ein silbrig schimmerndes Armband, das durch eine metallisch wirkende Leine mit einem gleichartigen Halsband verbunden war, also einen A’dam . Das ließ sie aufschreien, denn schon einmal hatten ihr die Seanchaner einen A’dam angelegt. Sie wollte lieber sterben, als das noch einmal durchzumachen. Rand lief durch die Straßen
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