Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
aber wenn es ums Handeln ging, vergaßen sie alles über Cadin’sors und Speere und kämpften wie die Löwen. Der Mann öffnete seinen zahnlosen Mund, schloss ihn wieder, betrachtete sie prüfend, murmelte leise etwas und sagte dann zu ihrer Überraschung, sie stehle ihm das Brot aus dem Mund.
»Steigt ein«, brummte er. »Ich kann nicht für einen Hungerlohn den ganzen Tag verschwenden. Einen Mann übers Ohr zu hauen. Ihm das Brot zu stehlen.« Er äußerte sich auch noch in dieser Weise, als er schon zu rudern begonnen hatte und das winzige Boot ins breitere Fahrwasser des Alguenya hinausbrachte.
Egwene wusste nicht, ob Rand diese Herrin der Wogen getroffen hatte, aber sie hoffte es. Laut Elayne war der Wiedergeborene Drache der Coramoor des Meervolks, der Auserwählte, und er brauchte nur aufzutauchen, und sie liefen hinter ihm her. Sie hoffte, sie wären dennoch nicht zu unterwürfig. Davon hatte Rand bereits mehr als genug. Dennoch hatte nicht Rand sie mit dem brummigen Bootsführer hinausgeschickt. Elayne war schon einigen Angehörigen des Meervolks begegnet, war auf einem ihrer Schiffe gereist und behauptete, ihre Windsucherinnen könnten die Macht lenken. Einige von ihnen ohnehin, vielleicht sogar die meisten. Das war ein Geheimnis, das die Atha’an Miere gut hüteten, aber die Windsucherin auf Elaynes Schiff war nur zu bereit gewesen, ihr Wissen zu teilen, nachdem ihr Geheimnis bekannt geworden war. Meervolk-Windsucherinnen kannten sich mit dem Wetter aus. Elayne behauptete, sie wüssten mehr darüber als die Aes Sedai. Sie sagte, die Windsucherin auf ihrem Schiff hätte riesige Stränge gewoben, um günstige Winde zu bewirken. Egwene hatte keine Ahnung, wie viel davon der Wahrheit entsprach und wie viel der Begeisterung erwuchs, aber ein wenig über das Wetter zu lernen, wäre sicherlich besser, als den Daumen zu drehen und sich zu fragen, ob es eine Erleichterung bedeutete, wenn sie von den Weisen Frauen und Sevanna fortkäme, weil Nesune sie gefangen nähme. Ihr gegenwärtiges Wissen reichte nicht einmal aus, um es regnen zu lassen, wenn der Himmel bis auf Blitze schwarz war. Im Moment schien die Sonne jedoch golden von einem wolkenlosen Himmel, und Hitzespiegelungen tanzten über das dunkle Wasser. Zumindest gelangte der Staub nicht weit auf den Fluss hinaus.
Als der Bootsführer schließlich die Ruder einzog und das kleine Gefährt neben das Schiff gleiten ließ, stand Egwene auf, ohne auf sein Gemurmel zu achten, dass sie sie beide in den Fluss stürzen würde. »Hallo!«, rief sie. »Hallo? Bitte an Bord kommen zu dürfen.«
Sie war bereits auf mehreren Flussschiffen gewesen und war stolz darauf, dass sie die richtige Ausdrucksweise beherrschte – Schiffer waren darin eigen –, aber mit Schiffen wie diesem hatte sie noch keine Erfahrung. Sie hatte schon längere Flussschiffe gesehen, aber noch kein so hohes. Einige Mitglieder der Mannschaft befanden sich in der Takelage oder erklommen die Rahen, dunkelhäutige Männer mit nacktem Oberkörper in weiten, farbenprächtigen Hosen, die von hellen Schärpen gehalten wurden, und auch dunkelhäutige Frauen in hellen Blusen.
Sie wollte gerade erneut und lauter rufen, als eine Strickleiter am Schiffsrumpf herabgelassen wurde. Kein Antwortruf erklang von Deck, und doch schien dies eine ausreichende Aufforderung. Egwene kletterte hinauf. Es war schwierig – nicht das Klettern, sondern ihre Röcke angemessen zu richten; sie konnte erkennen, warum die Meervolk-Frauen Hosen trugen –, aber schließlich erreichte sie die Reling.
Ihr Blick fiel sofort auf eine Frau, die keine Spanne entfernt an Deck stand. Sie trug eine blauseidene Bluse und eine Hose mit einer dunkleren Schärpe. Außerdem hatte sie drei goldene Ringe in jedem Ohr und eine hübsche Kette mit winzigen glänzenden Medaillons, die von einem Ohr zu einem Ring in ihrer Nase verlief. Elayne hatte dies beschrieben und es ihr sogar gezeigt, in Tel’aran’rhiod , aber es selbst zu sehen, ließ Egwene zusammenzucken. Aber da war noch etwas. Sie konnte, die Fähigkeit, die Macht zu lenken, spüren. Sie hatte die Windsucherin gefunden.
Sie öffnete den Mund, und eine dunkle Hand blitzte mit einem glänzenden Dolch vor ihren Augen auf. Bevor sie schreien konnte, durchschnitt die Klinge die Seile der Strickleiter. Sich noch immer an die jetzt nutzlose Leiter krallend, stürzte sie hinab.
Und dann schrie sie – einen Herzschlag lang, bevor sie mit den Füßen zuerst in den Fluss fiel und tief
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