Das Rad der Zeit 7. Das Original: Die Krone der Schwerter (German Edition)
es schmerzte ihn, wenn jemand wegen ihm starb, bei Colavaere wahrscheinlich nicht weniger als bei Fel. Er blutete für jedermann, der verletzt wurde, und versuchte vorzugeben, dass dem nicht so war.
»Küss mich«, murmelte sie. Als er sich nicht regte, schaute sie auf. Er blinzelte sie unsicher an, die Augen jetzt blau, nicht mehr grau, ein Morgenhimmel. »Ich necke dich nicht.« Wie oft hatte sie ihn geneckt, auf seinem Schoß gesessen, ihn geküsst, ihn Schafhirte genannt, weil sie es nicht wagte, seinen Namen auszusprechen, aus Angst, er könnte die Zärtlichkeit hören? Er ließ es sich gefallen, weil er glaubte, sie wollte ihn tatsächlich necken und würde aufhören, wenn sie glaubte, dass es nicht auf ihn wirkte. Ha! Tante Jan und Tante Rana hatte gesagt, man sollte einen Mann nicht küssen, wenn man ihn nicht heiraten wollte, aber Tante Miren schien ein wenig mehr von der Welt zu wissen. Sie sagte, man sollte einen Mann nicht zu beiläufig küssen, weil sich Männer so leicht verliebten. »Ich friere innerlich, Schafhirte. Colavaere, und Meister Fel … Ich muss warme Haut spüren. Ich brauche … bitte?«
Er senkte den Kopf so langsam. Zunächst war es der Kuss eines Bruders, sanft wie Milchwasser, beruhigend, tröstend. Dann wurde es anders. Überhaupt nicht mehr beruhigend. Er versuchte, sich ihr ruckartig zu entziehen. »Min, ich kann nicht. Ich habe kein Recht …«
Sie ergriff zwei Händevoll seines Haars, zog seinen Kopf wieder herab, und nach einer kleinen Weile hörte er auf, sich zu widersetzen. Sie war sich nicht sicher, ob ihre Hände sich zuerst an seinem Hemd oder seine sich zuerst an ihrem zu schaffen machten, aber eines wusste sie genau: Wenn er jetzt auch nur versuchte aufzuhören, würde sie einen von Riallins Speeren holen – alle Speere – und ihn erstechen.
Auf ihrem Weg aus dem Sonnenpalast betrachtete Cadsuane die Aiel-Wilden so eingehend wie möglich, ohne dass es auffiel. Corele und Daigian folgten ihr schweigend. Sie kannten sie inzwischen gut genug, um sie nicht mit Geplapper zu stören, was man nicht von allen behaupten konnte, die einige Tage in Arilyns kleinem Palast rasteten, bevor sie sie weiterschickte. Viele Wilde, von denen jede die Aes Sedai wie einen fliegenumschwirrten, mit eiternden Wunden übersäten Fluch ansah. Einige Menschen betrachteten Aes Sedai mit Ehrfurcht oder Bewunderung, andere mit Angst oder Hass, aber Cadsuane hatte niemals zuvor Verachtung erlebt, nicht einmal von Weißmänteln. Dennoch sollte jedes Volk, das so viele Wilde hervorbrachte, einen Strom von Mädchen zur Burg schicken.
Bei Gelegenheit würde man sich darum kümmern müssen, und in den Krater des Verderbens mit den Bräuchen, wenn es nötig war, aber nicht jetzt. Die Neugier des al’Thor-Jungen musste weiterhin ausreichend geweckt werden, dass er sie in seiner Nähe duldete, und er musste ausreichend aus dem Gleichgewicht gebracht werden, dass sie ihn in die Richtung bringen konnte, die sie wollte, ohne dass er es merkte. Und alles, was dem entgegenstand, musste auf die eine oder andere Weise kontrolliert oder unterdrückt werden. Nichts durfte ihn auf die falsche Art beeinflussen oder aufregen. Nichts.
Die glänzend schwarze Kutsche wartete hinter einem geduldigen Gespann von sechs Grauen im Hof. Ein Diener eilte herbei, um ihr den mit zwei Silbersternen auf roten und grünen Streifen bemalten Schlag zu öffnen, und verbeugte sich so tief vor ihnen dreien, dass sein kahler Kopf beinahe seine Knie berührte. Er war in Hemdsärmeln und Hose. Seit Cadsuane in den Sonnenpalast gekommen war, hatte sie noch niemanden in Livree gesehen, außer einigen Dienern in Dobraines Farben. Die Dienstboten waren zweifellos unsicher, was sie tragen sollten, und fürchteten, einen Fehler zu begehen.
»Ich könnte Elaida häuten, wenn ich sie zu fassen bekäme«, sagte sie, als die Kutsche schaukelnd anfuhr. »Dieses törichte Kind hat meine Aufgabe fast unmöglich gemacht.«
Und dann lachte sie so jäh, dass Daigian sie anstarrte, bevor sie sich unter Kontrolle bekommen konnte. Coreles Lächeln weitete sich erwartungsvoll. Keine von beiden verstand, und sie versuchte nicht zu erklären. Ihr ganzes Leben lang war der beste Weg, jemanden für etwas zu interessieren, gewesen, zu sagen, es sei unmöglich. Aber andererseits waren mehr als zweihundertsiebzig Jahre vergangen, seit sie zuletzt einer Aufgabe gegenübergestanden hatte, die sie nicht erfüllen konnte. Jetzt könnte jeder Tag ihr letzter sein,
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