Das Rad der Zeit 8. Das Original: Der Weg der Klingen (German Edition)
noch eine Reise von vier Tagen entfernt, und niemand würde sich der Spitze freiwillig auf mehr als zehn Meilen nähern. Die Geschichten um diesen Ort erzählten von Visionen des Wahnsinns, von umhergehenden Toten und der tödlichen Wirkung bei Berührung der Spitze.
Ethenielle hielt sich nicht für abergläubisch, und doch erschauderte sie leicht. Nianh hatte erzählt, die Spitze sei aus dem Zeitalter der Legenden übrig geblieben und harmlos. Mit etwas Glück hatten die Aes Sedai keinen Grund, sich der vor Jahren geführten Unterhaltung zu entsinnen. Schade, dass die Toten nicht dazu gebracht werden konnten, hier umherzugehen. Eine Legende besagte, dass Kirukan einen falschen Drachen eigenhändig enthauptet und einem anderen Mann, der die Macht lenken konnte, zwei Söhne geboren hatte. Oder vielleicht dem gleichen Mann. Sie hatte sicherlich gewusst, wie man seine Ziele erreicht und überlebt.
Wie erwartet, waren die ersten beiden jener Männer bereits angekommen, die Ethenielle treffen wollte, beide mit jeweils zwei Begleitern. Paitar Nachiman hatte mehr Falten in seinem länglichen Gesicht als der erstaunlich gut aussehende ältere Mann, den sie als Mädchen bewundert hatte, obwohl er kaum noch Haare aufwies und diese überwiegend grau waren. Er hatte glücklicherweise von der Mode der Arafeller, Zöpfe zu tragen, Abstand genommen und trug sein Haar kurz geschnitten. Er saß aufrecht in seinem Sattel, die Schultern des bestickten grünen Seidenmantels ungepolstert, und sie vermutete, dass er das Schwert an seiner Hüfte noch immer kraftvoll und geschickt führen konnte. Easar Togita, mit kantigem Gesicht und bis auf einen weißen Haarschopf geschorenem Schädel, der einfache Mantel in der Farbe alter Bronze, war einen Kopf kleiner und schlanker als der König von Arafel, und doch ließ er Paitar fast sanft erscheinen. Easar von Shienar runzelte nicht die Stirn – lediglich in seinen Augen schien ständig eine Spur Traurigkeit zu liegen –, aber er war vielleicht ebenso hart wie der Stahl des Langschwerts auf seinem Rücken. Sie vertraute beiden Männern – und hoffte, dass ihre Familienverbindung hilfreich wäre, dieses Vertrauen zu bewahren. Durch Heirat erzielte Bündnisse hatten die Grenzlande stets ebenso zusammengeschweißt, wie es ihr gemeinsamer Krieg gegen die Große Fäule getan hatte, und sie hatte eine Tochter mit Easars drittältestem Sohn und einen Sohn mit Paitars Lieblingsenkelin verehelicht, wie auch ein Bruder und zwei Schwestern in ihre Häuser eingeheiratet hatten.
Ihre Begleiter waren genauso unterschiedlich wie ihre Könige. Ishigari Terasian sah stets so aus, als sei er gerade aus der Benommenheit nach einer durchzechten Nacht erwacht. Er war der dickste Mann, den Ethenielle jemals auf einem Pferd gesehen hatte. Sein edler roter Mantel war zerknittert, seine Augen trüb, die Wangen unrasiert. Kyril Shianri dagegen war groß und schlank und trotz des Staubs und Schweißes auf seinem Gesicht fast ebenso gepflegt wie Baldhere, mit Silberglöckchen an seinen Stiefelspitzen und Handschuhen sowie in seinen Zöpfen. Er trug seine übliche unzufriedene Miene zur Schau und hatte die Angewohnheit, stets an seiner Hakennase entlang auf jedermann außer Paitar kühl herabzusehen. Shianri war auf vielerlei Arten wirklich ein Narr – arafellische Könige gaben kaum jemals vor, auf ihre Berater zu hören, sondern verließen sich stattdessen auf ihre Königinnen –, aber er war mehr, als er auf den ersten Blick zu sein schien. Agelmar Jagad hätte eine größere Ausgabe Easars sein können, ein einfacher, schlicht gekleideter, stahlharter Mann mit mehr Waffen am Körper als Baldhere – er schien nur auf eine Gelegenheit zu lauern, seine todbringenden Waffen einzusetzen –, während Alesune Chulin ebenso schlank wie Serailla beleibt, ebenso hübsch wie Serailla nichtssagend und ebenso temperamentvoll wie diese zurückhaltend war. Alesune schien für ihre edlen blauen Seidengewänder geboren. Man tat gut daran, sich in Erinnerung zu rufen, dass es auch bei Serailla ein Fehler war, nur nach dem Äußeren zu urteilen.
»Friede und Licht mögen Euch gewogen sein, Ethenielle von Kandor«, sagte Easar verdrießlich, als Ethenielle ihr Pferd vor den Männern verhielt. Und Paitar hob im selben Moment an: »Das Licht umarme Euch, Ethenielle von Kandor.« Paitars Stimme konnte Frauenherzen noch immer schneller schlagen lassen. Auch das Herz einer Frau, die wusste, dass er ganz und gar ihr gehörte.
Weitere Kostenlose Bücher