Das Rad der Zeit 8. Das Original: Der Weg der Klingen (German Edition)
Muskeln wären eine kleine Strafe für Beldeines Leiden wegen des vergossenen Wassers, aber sie tat es nicht deswegen und auch nicht wirklich aus Neugier. Sie hatte noch immer eine Aufgabe zu erfüllen. Sie musste den jungen Rand irgendwie am Leben erhalten – bis es an der Zeit war, dass er starb.
Der Raum hätte sich in einem großen Palast befinden können, nur dass er weder Fenster noch Türen aufwies. Das Feuer in einem reich verzierten Marmorkamin verbreitete keine Wärme, und die Flammen leckten nur an wenigen Scheiten. Der Mann, der an einem mitten auf einem mit glitzernden Gold- und Silberfäden durchwirkten Teppich stehenden Tisch saß, kümmerte sich wenig um den Prunk seines Zeitalters. Er war notwendig, um beeindrucken zu können, nicht mehr. Nicht dass er wirklich mehr als nur sich selbst gebraucht hätte, um auch den stolzesten Widersacher zutiefst einzuschüchtern. Er nannte sich Moridin, und sicherlich hatte niemals jemand ein größeres Recht gehabt, sich Tod zu nennen.
Manchmal strich er müßig über eine der beiden Geistfallen, die an einfachen Seidenschnüren um seinen Hals hingen. Bei seiner Berührung pulsierte der blutrote Kristall des Cour’souvra – Wirbel, die sich wie ein Herzschlag in unendliche Tiefen bewegten. Aber seine wahre Aufmerksamkeit galt dem vor ihm auf dem Tisch aufgestellten Spiel, dreiunddreißig rote und dreiunddreißig grüne Figuren, über ein Spielbrett von dreizehn mal dreizehn Quadraten verteilt. Die Nachbildung einer frühen Entwicklungsstufe eines berühmten Spiels. Die wichtigste Figur, der Fischer, schwarz-weiß wie das Spielbrett, wartete noch auf seinem angestammten Platz auf dem mittleren Quadrat. Sha’rah war ein schwieriges Spiel, das schon lange vor dem Krieg der Macht entstand. Sha’rah , Tcheran und No’ri – das Spiel, das jetzt einfach ›Steine‹ genannt wurde – hatten alle ihre Anhänger, die behaupteten, sie beinhalteten sämtliche Feinheiten des Lebens, aber Moridin hatte Sha’rah stets bevorzugt. Nur neun jemals lebende Menschen erinnerten sich noch an das Spiel. Er war ein Meister darin gewesen. Es war viel komplizierter als Tcheran oder No’ri . Das erste Ziel war die Gefangennahme des Fischers. Erst dann begann das eigentliche Spiel.
Ein Diener näherte sich Moridin, ein schlanker, anmutiger junger Mann in Weiß, unglaublich gut aussehend, und verbeugte sich, bevor er einen Kristallbecher auf einem Silbertablett darreichte. Er lächelte, aber das Lächeln schloss seine Augen nicht mit ein, die eher leblos als einfach tot wirkten. Die meisten Menschen hätten sich unter diesem Blick unbehaglich gefühlt. Moridin nahm nur den Becher entgegen und winkte den Diener fort. Die Lieferanten dieser Zeit boten ausgezeichnete Weine an. Aber er trank nicht.
Der Fischer hielt seine Aufmerksamkeit gefangen, lockte ihn. Mehrere Figuren konnten verschiedene Züge ausführen, nur die Eigenschaften des Fischers veränderten sich, je nachdem, wo er stand. Auf einem weißen Quadrat war er im Angriff schwach, aber beweglich, und er konnte weit ausweichen. Auf einem schwarzen Quadrat war er im Angriff stark, aber langsam und verwundbar. Wenn Meister spielten, wechselte der Fischer vor Beendigung des Spiels viele Male die Seiten. Die grün-rote Ziellinie, die das Spielbrett umgab, konnte mit jeder Figur erreicht werden, aber nur der Fischer durfte sie überschreiten. Nicht dass er dort ungefährdet gewesen wäre. Der Fischer war niemals in Sicherheit. Wenn er einem selbst gehörte, versuchte man, ihn auf ein Quadrat der eigenen Farbe hinter dem gegnerischen Spielbrettende zu bekommen. Das war die leichteste Art zu siegen, aber nicht die einzige. Wenn der Gegner den Fischer besaß, versuchte man, dem Fischer keine andere Wahl zu lassen, als auf ein Feld der eigenen Farbe zu wechseln. Dafür wäre jedes Feld entlang der Ziellinie geeignet. Es konnte sich eher als bedrohlicher erweisen, den Fischer zu besitzen, als dass es ungefährlich war. Natürlich gab es beim Sha’rah noch einen dritten Weg zum Ziel, wenn man ihn einschlug, bevor man sich selbst fangen ließ. Das Spiel artete stets zu einem verworrenen Hin und Her aus, woraufhin der Sieg mit der vollständigen Vernichtung des Gegners erfolgte. Er hatte das einmal verzweifelt versucht, aber der Versuch war fehlgeschlagen. Schmerzlich.
Zorn wallte jäh in Moridins Kopf auf, und schwarze Flecke tanzten vor seinen Augen, als er die Wahre Macht ergriff. Sich zu Schmerz steigernde Raserei toste in ihm.
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