Das Rad der Zeit 8. Das Original: Der Weg der Klingen (German Edition)
unter Elaynes stetem Blick ebenfalls. Wenn einige Widerwillen zeigten – wie schwach auch immer –, so galt das doch nicht für alle. Sareitha nahm rasch das scheibenförmige Bündel auf, das zu ihren Füßen gelegen hatte und mit Schichten weißer Seide umwickelt war. Ihre Arme reichten kaum darum herum, als sie die Schale der Winde an ihren Busen drückte und Elayne besorgt anlächelte, als wolle sie zeigen, dass sie die Schale wirklich gut bewachte.
Die Meervolk-Frauen betrachteten das Bündel begierig und beugten sich beinahe vor. Aviendha wäre nicht überrascht gewesen, wenn sie über die Steine gesprungen wären, um die Schale zu ergreifen. Die Aes Sedai sahen eindeutig das Gleiche. Sareitha umklammerte das weiße Bündel noch fester, und Merilille trat tatsächlich zwischen sie und die Atha’an Miere. Glatte Aes-Sedai-Gesichter spannten sich an, vergeblich um Ausdruckslosigkeit bemüht. Sie waren der Meinung, die Schale sollte ihnen gehören. Alle Dinge, welche die Eine Macht benutzten oder beeinflussten, gehörten ihrer Meinung nach der Weißen Burg, ungeachtet dessen, wer sie im Moment besaß. Aber da war der Vertrag.
»Die Sonne steigt, Aes Sedai«, verkündete Renaile din Calon laut, »und Gefahr droht. Darauf beharrt Ihr ja. Wenn Ihr Euch irgendwie herauswinden wollt, indem Ihr Zeit schindet, überlegt es Euch lieber zweimal. Versucht, den Vertrag zu brechen, und ich werde beim Herzen meines Vaters augenblicklich zu den Schiffen zurückkehren. Und die Schale zurückfordern. Sie gehört uns seit der Zerstörung der Welt.«
»Hütet in Gegenwart von Aes Sedai Eure Zunge«, stieß Reanne barsch hervor, von ihrem blauen Strohhut bis zu den unter grün-weißen Rocksäumen hervorsehenden, festen Schuhen empörte Entrüstung.
Renaile din Calon verzog höhnisch den Mund. »Die Medusen haben anscheinend Zungen. Es überrascht mich jedoch, dass sie diese auch benutzen können, wenn keine Aes Sedai es erlaubt hat.«
Der Stallhof war im Handumdrehen von zwischen den Kusinen und den Atha’an Miere hin und her fliegenden Beleidigungen erfüllt: »Wilde«, »Barbaren« und Schlimmeres; schrille Schreie übertönten Merililles Versuche, Reanne und ihre Begleiterinnen mit der einen und das Meervolk mit der anderen Hand zu beruhigen. Mehrere Windsucherinnen hörten auf, nach den hinter ihren Schärpen steckenden Dolchen zu tasten, stattdessen packten sie die Griffe. Das Schimmern Saidars sprang um die erste und dann eine weitere der farbenfroh gekleideten Frauen auf. Die Kusinen wirkten bestürzt, obwohl es ihren Redefluss nicht behinderte, aber dann umarmte auch Sumeko die Quelle, dann Tamarla, schließlich die geschmeidige, rehäugige Chilares, und bald schimmerte jede Einzelne von ihnen und von den Windsucherinnen, während Worte flogen und Temperamente überschäumten.
Aviendha hätte am liebsten gestöhnt. Jeden Moment würde Blut fließen. Sie würde Elaynes Führung folgen, aber ihre Nächstschwester starrte Windsucherinnen und Nähkränzchen gleichermaßen mit kaltem Zorn an. Elayne hatte wenig Geduld mit Einfältigkeit, weder bei sich selbst noch bei anderen, und Beleidigungen herauszuschreien, wenn vielleicht ein Feind nahte, war das Schlimmste von allem. Aviendha umfasste entschlossen ihren Gürteldolch und umarmte kurz darauf Saidar . Leben und Freude erfüllten sie so stark, dass sie am liebsten geweint hätte. Weise Frauen benutzten die Macht nur, wenn Worte versagten, aber hier würden weder Worte noch Stahl genügen. Sie wünschte, sie hätte eine Ahnung, wen sie zuerst töten sollte.
»Das reicht!« Nynaeves durchdringender Schrei schnitt jedermann jäh das Wort ab. Erstaunte Gesichter wirbelten zu ihr herum. Sie wandte drohend den Kopf und streckte einen Finger in Richtung des Frauenkreises aus. »Hört auf, Euch wie Kinder zu benehmen!« Ihre Stimme klang kaum weniger schneidend. »Oder wollt Ihr Euch zanken, bis die Verlorenen kommen, um die Schale und uns zu holen? Und Ihr«, fuhr sie mit zu den Windsucherinnen ausgestrecktem Finger fort, »hört auf, Euch aus der Vereinbarung zu stehlen! Ihr werdet die Schale erst bekommen, wenn Ihr jedes Wort des Vertrags erfüllt habt! Glaubt nicht, dass es anders sein wird!« Dann fuhr Nynaeve zu den Aes Sedai herum. »Und Ihr …!« Die kühle Überraschung, der sie sich jäh gegenübersah, ließ ihren Wortfluss zu einem verärgerten Brummen versiegen. Die Aes Sedai hatten sich nur an dem Geschrei beteiligt, um zu versuchen, es zu unterbinden. Um
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