Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
Klinge in den Boden, wo sie zitternd stecken blieb.
»Sie ist hier«, sagte er und zeigte mit der Flöte in eine Richtung. Unbewusst drehte er das Instrument und zeichnete Alannas Weg damit ganz genau nach. »Sie wird bald da sein.« Sie war am Vortag in Far Madding eingetroffen, und er verstand nicht, warum sie bis jetzt gewartet hatte. Alanna war ein Gewirr aus Gefühlen in seinem Kopf, nervös und misstrauisch, besorgt, entschlossen und vor allem zornig. Ein kaum gezügelter Zorn. »Wenn du lieber nicht dabei sein willst, kannst du …« Min schüttelte energisch den Kopf. Direkt neben Alannas Bund lag das Bündel, das Min darstellte. Auch in ihm brodelte es vor Sorge und Wut, aber jedes Mal, wenn sie ihn ansah, strahlte die Liebe wie ein Signalfeuer auf und durchdrang es. Manchmal auch einfach nur so, wenn sie ihn nicht ansah. Furcht schimmerte ebenfalls hindurch, obwohl sie sie zu verbergen suchte.
Er setzte die Flöte wieder an die Lippen und begann mit Der betrunkene Hausierer . Das war fröhlich genug, um die Toten aufzumuntern. Lews Therin knurrte ihn an.
Min musterte ihn mit verschränkten Armen, dann riss sie abrupt an ihrem Kleid und rückte es auf den Hüften zurecht. Mit einem Seufzer senkte er die Flöte und wartete. Wenn eine Frau grundlos ihr Kleid richtete, war das mit einem Mann zu vergleichen, der die Schnallen seiner Rüstung festerzog und den Sattelgurt überprüfte; sie wollte einen Sturmangriff reiten, und man würde wie ein Hund niedergemacht, wenn man die Flucht ergriff. In Min war die Entschlossenheit jetzt genauso groß wie in Alanna, Zwillingssonnen, die in seinem Hinterkopf aufglühten.
»Wir werden nicht mehr über Alanna sprechen, bis sie hier ist«, sagte sie entschieden, so als hätte er auf diesem Thema bestanden. Entschlossenheit und noch immer Furcht, die jetzt stärker als zuvor war, ununterbrochen niedergetrampelt wurde und wieder in die Höhe sprang.
»Aber natürlich, Frau, wenn du es so möchtest«, erwiderte er und senkte den Kopf in der Art, wie es in Far Madding Sitte war. Sie schnaubte laut.
»Rand, ich mag Alivia. Das tue ich wirklich, selbst wenn sie Nynaeve in den Wahnsinn treibt.« Mit einer in die Hüfte gestützten Faust beugte sich Min vor und richtete den Zeigefinger genau auf seine Nase. »Aber sie wird dich töten.« Sie spie jedes Wort aus.
»Du hast gesagt, sie würde mir dabei helfen zu sterben«, sagte er ganz ruhig. »Das waren deine Worte.« Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn er starb? Da würde Trauer sein, sie verlassen zu müssen und Elayne und Aviendha. Trauer über den Schmerz, den er ihnen bereitet hatte. Vor dem Ende hätte er gern noch einmal seinen Vater gesehen. Davon abgesehen war er beinahe zu dem Schluss gekommen, dass der Tod eine Erlösung sein würde.
Der Tod ist eine Erlösung, sagte Lews Therin inbrünstig. Ich will den Tod. Wir verdienen den Tod!
»Mir beim Sterben zu helfen ist nicht dasselbe, wie mich zu töten«, fuhr Rand fort. Mittlerweile war er richtig gut darin, die Stimme zu ignorieren. »Es sei denn, du hast deine Meinung über das geändert, was du gesehen hast.«
Min warf verzweifelt die Hände in die Höhe. »Ich habe gesehen, was ich gesehen habe, und das habe ich dir erzählt, aber der Krater des Verderbens soll mich verschlucken, wenn ich darin einen Unterschied erkenne. Und ich kann einfach nicht begreifen, warum du glaubst, dass es ihn tatsächlich gibt!«
»Min, früher oder später muss ich sterben«, sagte er geduldig. Das hatten ihm jene gesagt, denen er glauben musste. Wenn du leben willst, musst du sterben. Für ihn ergab das noch immer keinen Sinn, aber es stellte eine unverrückbare Tatsache dar. Er musste sterben, genau wie es scheinbar in den Prophezeiungen des Drachen stand. »Ich hoffe, es wird nicht bald sein. Jedenfalls will ich das nicht. Es tut mir leid, Min. Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass du mit mir den Bund eingehst.« Aber er war nicht stark genug gewesen, es ihnen abzuschlagen, genauso wenig wie er stark genug gewesen war, um sie von sich zu stoßen. Er war zu schwach, um das zu tun, was getan werden musste. Er musste im Winter trinken, bis das Herz des Winters wie der Mittag eines Sonnentags aussah.
»Hättest du dich geweigert, hätten wir dich gefesselt und es trotzdem getan.« Er kam zu dem Schluss, dass es besser war, sie nicht zu fragen, wie sich das von dem unterschieden hätte, was Alanna getan hatte. Sie sah darin auf jeden Fall einen Unterschied. Sie kniete sich
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