Das Rätsel deiner Leidenschaft
Zeit empfand Sabine wirklich Frieden. Frieden, der in schroffem Gegensatz zur Realität stand – der Prophezeiung, ihrer Suche, dem Auserwählten –, aber in diesem Moment, als sie in Max' Armen lag, kam es ihr so vor, als würde doch noch alles gut werden. Sie wusste, dass es die schlimmste Art von Täuschung war, sich selbst etwas vorzumachen. Ihre Mutter hatte das getan und die Wahrheit um sich herum ignorierte, und am Ende hatte sie den höchsten Preis dafür gezahlt.
Sabine kuschelte sich noch enger an Max, weil ihr nur zu gut bewusst war, dass morgen ein anderer Tag war und dass die Intimität, die sie jetzt miteinander erlebten, von der Wirklichkeit zerstört werden würde. Sie konnte keinen Geliebten haben, schon gar nicht einen, dem ihre Seele sich zu öffnen schien. Sie könnte sich mühelos in Max verlieben, und das machte ihr Angst, weil sie wusste, dass Liebe am Ende doch nur Unglück brachte. Der Gedanke schien ihr Herz zu lähmen, und für eine flüchtige Sekunde hätte sie schwören können, es sei stehen geblieben.
»Warum hast du nicht geheiratet?«, fragte sie Max. Sie brauchte eine Ablenkung, um von diesen deprimierenden Gedanken loszukommen.
»Ich bin kein Mann zum Heiraten«, sagte er.
»Dann hast du dich also dafür entschieden, Junggeselle zu bleiben?«
»So ähnlich.«
Nachdenklich strich sie mit den Fingerspitzen über das Haar auf seiner Brust. »Aber was ist mit deiner Verpflichtung, einen Erben zu zeugen?«, fragte sie. »Ohne einen Erben wird dein Name aussterben.«
»Es gibt genug Bastarde auf der Welt, legitime und andere, ohne dass ich noch weitere hinzufüge.« Er zuckte die Schultern. »Wenn der Name ausstirbt, stirbt er eben aus. Es ist nichts Magisches oder Bedeutsames an meinem Familiennamen.«
»Und wenn deine Eltern auch so gedacht hätten? Dann gäbe es dich nicht. Müsste das nicht etwas gelten?« Sie konnte nicht verstehen, dass ein Mann sich so leidenschaftlich für die Suche nach Atlantis einsetzte, aber absolut keinen Sinn für familiäre Verpflichtungen hatte. Sie wusste nur, dass ihr ganzes Leben sich um solche Verpflichtungen gedreht hatte. Wie konnte sie sich zu einem Mann hingezogen fühlen, dem alles fremd war, woran sie glaubte?
»Das müsste es, tut es aber nicht.« Er drehte sich auf die Seite, um sie anzusehen, und sein Gesichtsausdruck war beinahe streng, aber dann legte er seine Hand auf ihre Hüfte, und seine Berührung war ganz sanft. »Meine Eltern haben jung geheiratet und gleich drei Kinder hintereinander bekommen. Ein Mädchen nach dem anderen. Nicht gerade das, was ein Marquess für seinen Familiennamen will. Aber andererseits bot sich dadurch die Gelegenheit, der Familie noch mehr Geld und Prestige zu verschaffen – indem meine Schwestern entsprechend verheiratet wurden.«
Sabine schwieg und hörte Max zu. Wenn er seine charmante Fassade ablegte, kam ein anderer Mann zum Vorschein – ein Mann mit Emotionen und Narben, auf die sie gerade eben einen Blick erhielt. Wie ein Jäger auf der Fährte eines scheuen Rehs wagte sie nicht, sich zu rühren und zu riskieren, ihn zu verschrecken.
»Fünf Jahre nach meiner jüngsten Schwester kam mein Bruder zu Welt. Endlich der Erbe«, sagte er mit großer Sachlichkeit. »Die Familie war komplett.« Seine Augen verdunkelten sich, und seine Hand an Sabines Hüfte hörte auf, sie zu streicheln. »Drei Jahre später wurde ich dann geboren. Das überflüssige Kind – ihren Erben hatten sie ja schon –, und ich würde ihnen ja auch nie Geld einbringen wie meine Schwestern, sondern sie stattdessen welches kosten. Sie mussten mich zur Schule schicken. Eine Heirat finanzieren.«
Danach schwieg er eine ganze Weile. »Du hast mir einmal erzählt, du wärst allein und hättest keine Familie. Was ist aus ihnen geworden?«, fragte Sabine schließlich.
»Unser Familienbesitz in Devonshire ist bei einem Brand zerstört worden. Es geschah nachts, als alle schliefen. Sie waren alle im Haus«, sagte er.
»Und wo warst du?«, fragte Sabine.
»Weit weg in einer Höhle, wo ich nach einer alten Karte suchte.« Er lächelte reuevoll. »Ich versuchte etwas zu tun, irgendetwas, das mir ihre Aufmerksamkeit einbringen würde ...« Er verstummte.
»Wie alt warst du da?«, fragte sie leise.
»Siebzehn. Damals haben wir alles verloren.« Er lachte, aber es lag kein Humor darin. »Alles bis auf diesen verkohlten Speer, den ich in meinem Arbeitszimmer aufbewahre. Alles andere habe ich mir selber aufgebaut.«
Ein Junge, noch
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