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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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stellen pflegt. Mit einem Wort, er könnte versuchen, sich voll und ganz auf seinen Prüfer einzustellen. Aber vielleicht ist unserem Kandidaten das alles zu mühsam oder immer noch zu unsicher. Und so greift er zu dem einzigen Mittel, das ihm den Erfolg schon im voraus garantiert — zur Bestechung. Sie sehen also, Lewis, selbst das ausgeklügeltste Prüfungsverfahren hat immer noch eine Menge Hintertürchen, durch die man schlüpfen kann — eine gewisse Portion Schamlosigkeit vorausgesetzt. Letztlich hängt eben alles ab von der Integrität der Beteiligten, der Studenten wie der Professoren. Wie überall wird es auch an der Universität schwarze Schafe geben, nehme ich an — Studenten, die sich ihr Examen nicht durch Arbeit erwerben wollen, sondern es zu kaufen versuchen und Professoren, die, wenn das Angebot nur attraktiv genug ist, unter Umständen geneigt sind, auf einen solchen Handel einzugehen...»
    «Na ja, geneigt vielleicht, aber...» sagte Lewis mild.
    «Und es am Ende auch tatsächlich tun beziehungsweise getan haben, wie Sie und ich wissen», donnerte Morse.
    Lewis nickte betrübt. Dagegen ließ sich wenig sagen, der Chef hatte einfach recht.
    «Soweit also der Hintergrund», fuhr Morse fort, «und jetzt zu unserem konkreten Fall. Am dreiundzwanzigsten Juli, also vor nicht ganz vierzehn Tagen, werden wir telefonisch davon benachrichtigt, daß im Kanal bei Thrupp vermutlich eine Leiche treibe. Wie sich herausstellt, stimmt die Vermutung — wir bergen tatsächlich einen Toten, einen Toten mit einem Schild um den Hals, auf dem ein riesiges Fragezeichen prangt.»
    «Aber er hatte doch gar keinen Hals mehr», wandte Lewis ein. Er nahm immer alles zu wörtlich.
    «Es gab auch kein Schild mit einem Fragezeichen, Lewis. Was ich damit sagen will, ist, daß die Leiche uns keinerlei Anhaltspunkte bot, in welcher Richtung...»
    «Immerhin war da doch aber der Brief...»
    «Schon. Trotzdem. Ohne den Brief wären wir sowieso ganz und gar aufgeschmissen gewesen. Oder können Sie sich vorstellen, Lewis, daß eine namenlose Leiche — noch dazu eine Leiche, der wesentliche Teile fehlen — Sie zu großen geistigen Höhenflügen zu inspirieren vermöchte?»
    «Geistige Höhenflüge sind sowieso nicht meine Sache, das wissen Sie doch, Sir», sagte der Sergeant bescheiden.
    «Stellen Sie Ihre Fähigkeiten nicht immer in ein so schlechtes Licht, Lewis — es reicht doch, wenn ich das tue.»
    «Aber einen Anhaltspunkt hatten wir doch trotz allem», wagte Lewis einzuwenden. «Meinten Sie nicht, der Tote sei Blutspender gewesen?»
    «Ja, stimmt. Und ich will Ihnen auch sagen, wie ich darauf gekommen bin. Es ist nämlich so: Wenn jemand über viele Jahre hinweg regelmäßig Blut spendet, dann entstehen mit der Zeit in den Armbeugen, dort wo die Einstichstellen sind, winzige Narben...»
    «Das brauchen Sie mir nicht zu erklären», sagte Lewis ein ganz klein wenig hochmütig. «Ich habe letztes Jahr das Goldene Abzeichen bekommen.»
    «Das Goldene Abzeichen ?»
    «Ja, sehen Sie, das kennen Sie nicht! Das Goldene Abzeichen wird einem verliehen, wenn man mindestens fünfzigmal gespendet hat.»
    «Oh!»
    «Tja», sagte Lewis ein bißchen großspurig, «ich bin jetzt ja schon etliche Jährchen dabei, und ich glaube, was das Blutspendewesen angeht, gibt es kaum etwas, was ich nicht weiß. Ich bin inzwischen, glaube ich, so eine Art Experte.»
    «So, meinen Sie?» bemerkte Morse mit tückischer Freundlichkeit. «Dann können Sie mir ja bestimmt sagen, wann man mit dem Blutspenden aufhören muß — ich meine, in welchem Alter.»
    «Hm...» sagte Lewis.
    «Soll das heißen, Sie wissen es nicht?»
    Lewis nickte bedröppelt.
    «Mir scheint, Sie sind nicht so recht vertraut mit der einschlägigen Literatur, Lewis. Das sollten Sie nachholen — jedenfalls wenn Sie den Anspruch haben, ein Experte auf diesem Gebiet sein zu wollen. Übrigens — die Altersgrenze liegt bei fünfundsechzig.»
    Lewis kratzte sich verlegen am Kopf. «Das heißt, daß Browne-Smith in der laufenden Kartei gar nicht mehr geführt wurde...»
    «Und Westerby auch nicht. Sie waren beide schon über fünfundsechzig.»
    «Ich hätte mir also auch die schon abgeschlossenen Unterlagen ansehen müssen», sagte Lewis zerknirscht.
    «Ja, aber das läßt sich nun nicht mehr ändern — ich habe es inzwischen selbst nachgeholt. Browne-Smith war bis vor ein paar Jahren tatsächlich Blutspender — Westerby nicht. Er hatte früher einmal Gelbsucht und kam danach als

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