Das Rätsel der dritten Meile
Schuhgröße.
Am Freitag dann hatte Lewis die Protokolle in Angriff genommen. Dazu waren drei Besuche nötig gewesen: bei dem Manager der Flamenco-Oben-Ohne-Bar, bei Miss Winifred Stewart, Colebourne Road 23 sowie Mrs. Emily Gilbert in Berrywood Court, Seven Sisters Road. Bei allen drei Aussagen hatte Lewis den Eindruck gehabt, daß sein Gegenüber etwas zurückhielt, aber Morse hatte ihm ausdrücklich vorher eingeschärft, keine zusätzlichen Fragen zu stellen, sondern lediglich zu notieren, was ihm gesagt würde. Daran hatte er sich gehalten.
Mit den drei Protokollen in der Tasche hatte sich Lewis am Freitag nachmittag schließlich noch darum bemüht, etwas über die Gilbert-Brüder in Erfahrung zu bringen — eine Aufgabe, die, wie sich herausstellte, nicht weiter schwierig war. Albert und Alfred waren offiziell eingetragene Partner einer Makler/Umzugsfirma und stille Teilhaber eines weiteren Unternehmens, das sich Soho Enterprises nannte. Zu letzterem gehörten neben der Oben-Ohne-Bar zwei nicht ganz koschere Buchhandlungen sowie ein Porno-Kino. Der Londoner Polizei waren die Brüder durchaus bekannt. Man hatte jedoch keinen Grund zum Einschreiten gesehen, und zwar vor allem deshalb, weil die Sex-Welle als Folge der wirtschaftlichen Stagnation am Abebben war und viele Unternehmen ganz von allein eingingen. Lewis, der Soho mit seinen Bordells, Clubs und Saunen seit jeher abstoßend gefunden hatte, war froh, dies zu hören. Bei all seinen Nachforschungen war am Ende nur eine einzige Frage offengeblieben: Wo eigentlich steckte Albert Gilbert? Aber was das anging, so hatte Morse gleich von vornherein gesagt, daß wenig Hoffnung bestünde, dies herauszufinden. Und wie immer, hatte er recht gehabt.
Am Kreisverkehr von Headington überlegte Lewis einen Moment, ob er zuerst zu Hause hereinschauen und der Frau sagen solle, daß er heil wieder zurück sei. Doch dann entschied er sich, nach Kidlington durchzufahren. Er wußte, der Chef würde schon auf ihn warten.
Während Lewis’ Tage in London recht anstrengend waren, hatte Morse in Oxford Zeit zur Muße gehabt; denn weder bei der gleich am Mittwoch eingeleiteten Großfahndung noch bei der erneut angesetzten Schleppnetzsuche im Kanal waren sein Rat oder gar seine Mithilfe vonnöten. Er war jedoch nicht ganz und gar untätig gewesen. Am Donnerstag vormittag hatte er das Blutspende-Zentrum im Churchill Hospital aufgesucht und Einblick in die laufende Kartei verlangt. Dies hatte ihm dann offenbar nicht gereicht, denn nach einiger Zeit hatte er darum gebeten, ihm auch die bereits abgeschlossenen Unterlagen aus den letzten fünf Jahren zu holen. Hier schien er endlich gefunden zu haben, was er suchte, denn nach kurzer Zeit schon hatte er alles Material, das man ihm zur Verfügung gestellt hatte, wieder zurückgegeben, sich bedankt und war gegangen. Vom Churchill Hospital aus war er dann gleich weitergefahren zum Akademischen Prüfungsamt, wo er sich beim Justitiar hatte melden lassen. Beide Männer hatten ein längeres Gespräch miteinander geführt, dessen Ergebnis offenbar zu Morse’ Zufriedenheit ausgefallen war, denn am Ende hatte er sich ausgesucht höflich verabschiedet.
Als Lewis gegen zwölf ins Büro kam, fand er Morse so umgänglich wie selten.
«Na, Lewis, ich hoffe, Sie haben trotz der vielen Arbeit noch ab und zu Zeit für Spiegeleier und Chips gefunden?»
Lewis grinste. «Doch, doch. So schlimm war es nun auch wieder nicht.»
«Dann lassen Sie mal hören, was Sie in London erfahren haben. Übrigens — ist Ihnen aufgefallen, daß meine Backe schon fast wieder normal aussieht?»
Zwanzig Minuten später klingelte das Telefon.
Lewis sah, wie sich Morse’ Gesicht, während er zuhörte, anspannte. Schließlich sagte er knapp: «Ich komme, so schnell ich kann», und legte auf.
Lewis sah ihn fragend an.
«Ein Anruf von der Metropolitan Police. Man hat Westerbys Leiche gefunden — in einem kleinen Hotel in der Nähe der Paddington Station. Er ist ermordet worden — erdrosselt.»
Lewis wußte nicht recht, was er mit dieser Nachricht anfangen sollte. Gerade eben noch hatte Morse ihm erklärt, der Fall sei so gut wie gelöst — und jetzt das. Doch Fragen zu stellen, blieb keine Zeit. Morse war schon aufgestanden und zählte das Geld in seinem Portemonnaie.
«Tippen Sie noch Ihren Bericht, und dann ab nach Hause, Lewis. Klar? Ihre Frau weiß ja bald gar nicht mehr, wie Sie aussehen.»
«Gibt es nichts, was ich noch für Sie tun könnte, Sir?» fragte
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