Das Rätsel der Fatima
sagte er schließlich. »Ich will es ebenso wenig, wie ich Maffeos Geheimnis möchte. Aber ich bin sicher, dass Marco es kennt. Sie haben schließlich vor Jahren die Reise hierher gemeinsam unternommen. Und er ist nicht genügsam, o nein. Jedes Mittel, das ihm zu mehr Macht, zu größerem Einfluss und Besitz verhelfen könnte, ist ihm recht. Und wenn nur die Hälfte dessen, was mir zu Ohren gekommen ist, der Wahrheit entspricht, so ist dieser Stein ein überaus mächtiges Kleinod. Marco wäre ohne Weiteres imstande, seinen Onkel zu beseitigen, nur um in den Besitz des Geheimnisses zu kommen. Und darüber, dass er als Europäer Kenntnisse über das seltsame Gift haben kann, brauchen wir gar nicht erst zu reden.«
Beatrice wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. Dschinkims Argumente waren klar und nachvollziehbar. Aber woher wusste er von dem Stein? Hatte Maffeo ihm davon erzählt? Das konnte sie sich nicht vorstellen.
»Woher…«
Doch er brachte sie mit einer Geste zum Schweigen.
»Darüber können wir zu einem anderen Zeitpunkt reden.« Er seufzte, und sein Gesicht verdüsterte sich. »Die Liste derer, die Maffeo nach dem Leben trachten, lässt sich noch beliebig verlängern. Es mag dir seltsam vorkommen, aber sogar er hat Feinde; Männer, die alles dafür tun würden, um seinen Posten am Hof des Khans einnehmen zu können. Und viele würden ihn einfach nur töten, um Khubilai oder mir zu schaden. Wie zum Beispiel Senge.«
»Senge?«, fragte Beatrice. »Wer ist das?«
»Er ist einer von uns, sogar ein Mitglied unserer eigenen Sippe. ›Der Unheimliche‹, so wird er von vielen genannt. Die Alten sagen, Senge sei ein Zauberer, der sich in den schwarzen Künsten auskennt, der mit den Dämonen im Bunde steht und dem kein Gift und keine Abscheulichkeit auf dieser Welt fremd ist.« Dschinkim zuckte mit den Schultern. »Ob an diesen Geschichten etwas Wahres dran ist, kann ich nicht sagen. Fest steht jedoch, dass Senge ein Störenfried ist, ein bösartiger Mann, dem es Freude bereitet, anderen Schaden zuzufügen. Ihm wäre es durchaus zuzutrauen, Maffeo aus reiner Bosheit zu töten. Und sei es nur, um herauszufinden, ob dieses fremdartige Gift tatsächlich die versprochene Wirkung hat oder ob es gelingt, ihm diesen Mord nachzuweisen.«
Beatrice schüttelte ungläubig den Kopf. Zauberer, schwarze Magie – welch ein Unsinn. Nicht einmal Dschinkim schien daran zu glauben. Doch dann hatte sie wieder das Lachen des Mannes in den Ohren, der mit Ahmad gesprochen hatte. Dieses harte, grausame Lachen. Und plötzlich wusste sie, dass dies Senge gewesen sein musste. »Der Unheimliche« – welch ein passender Name. Selbst wenn die Geschichten der Alten nichts als Schauergeschichten waren, würde sie diesem Mann nicht so schnell wieder begegnen wollen.
Was für ein Glück, dass er mich damals nicht gesehen hat, dachte sie und fröstelte. Doch diesmal war es nicht nur der Wind. Diesmal war es eine Kälte, die durch die Kleidung, durch Haut und Muskeln eindrang und das Mark in ihren Knochen gefrieren ließ.
»Und was können wir jetzt tun?«, fragte Beatrice und gab sich Mühe, dass ihre Zähne nicht vor Kälte klapperten. Oder vor Angst? Sie war sich dessen nicht so sicher. Um sich abzulenken, versuchte sie, an die nahe liegenden Probleme zu denken – sie mussten ein Verbrechen aufklären. Die Segnungen des 21. Jahrhunderts fielen ihr ein: Spurensicherung, Fingerabdrücke, Speicheltest, Handelswege, die sich per Mausklick via Computer überprüfen und nachvollziehen ließen… Aber welche Möglichkeiten standen ihnen hier zur Verfügung? Augen und Ohren offen halten, mehr war wohl nicht drin.
»Ich werde alle Verdächtigen, besonders Marco, Ahmad und Senge, beobachten. Unter Umständen gelingt es mir sogar, unbemerkt ihre Gemächer zu durchsuchen.«
»Und was ist mit den Dienern?«, schlug Beatrice vor. »Jemand sollte sie befragen. Vielleicht hat einer von ihnen etwas gehört oder gesehen, das uns weiterhelfen kann.«
Dschinkim nickte. »Ja, das ist ein guter Gedanke. Allerdings wird die Befragung der Diener viel Zeit in Anspruch nehmen. Ich weiß nicht, ob ich…« Er brach ab und zuckte hilflos mit den Schultern. »Meine Pflichten lassen mir nicht unbegrenzt freie Hand, mich um diese Angelegenheit zu kümmern.«
»Du solltest einen deiner Soldaten damit beauftragen.«
Doch Dschinkim schüttelte langsam den Kopf. »Das geht nicht. Ich weiß nicht mehr, wem ich noch trauen darf. Jeder meiner Soldaten könnte bestochen
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