Das Rätsel der Fatima
steril, da sie lose in einer kleinen, mit Seide ausgeschlagenen Schatulle lagen. Auch von Desinfektion oder wenigstens Säuberung der Haut schien man hier nichts zu wissen. Sie musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut zu schreien.
Dem schmerzhaften Einstich folgte ein heißer, sengender Schmerz, einem Elektroschock nicht unähnlich, der ihren Arm hochschnellen ließ wie ein Peitschenhieb. Im ersten Augenblick glaubte sie, Li Mu Bai hätte aus Unkenntnis der Anatomie einen Nerv getroffen. Aber dann merkte Beatrice, dass dies ein anderes Gefühl war, ein Gefühl, das sie nur aus Mangel an passenden Worten im ersten Moment als Schmerz bezeichnet hatte. Es ließ kurze Zeit später nach und wich einem Kribbeln und einer Wärme, die sich von der Einstichstelle ausgehend im ganzen Körper ausbreitete, unabhängig von jedem Nervenstrang, der in den modernen Anatomieatlanten beschrieben wurde. Die Nadeln in ihrem Handgelenk zitterten und bebten wie zwei Antennen oder Stimmgabeln. Als sie sich schließlich beruhigt hatten, geschah etwas Seltsames. Beatrice spürte, dass sich die gesamte Muskulatur ihres Unterleibs entspannte – der Beckenboden, die Bauchdecke, sogar die Muskulatur der Gebärmutter. Ungläubig legte sie ihre freie Hand auf den Bauch. Tatsächlich, die Bauchdecke war wieder weich. Doch bevor sie Li Mu Bai fragen konnte, ob er diese Wirkung beabsichtigt hatte, zog er die Nadeln heraus, verbeugte sich und ging. Sein Lächeln, sanft, kryptisch und allwissend, als könnte er ihre Gedanken lesen und wüsste genau, welche Fragen ihr auf der Seele lagen, brachte Beatrice auf die Palme. Wenn er so viel wusste oder erahnte, warum verschwand er dann einfach, ohne ihr auch nur ein Wort zu sagen?
»Wie geht es dir?«, fragte Maffeo und half Beatrice beim Aufstehen.
»Gut, danke der Nachfrage«, entgegnete Beatrice und gab sich keine Mühe, höflich oder gar freundlich zu sein. Sie war jetzt in der richtigen Stimmung, sich zu streiten. »Ich habe mich wirklich glänzend amüsiert in den vergangenen Tagen. Die Decke dieses Zimmers ist ebenso anregend wie die langen ausgiebigen Gespräche mit Ming. Ich glaube, bisher haben wir etwa dreißig Worte miteinander gewechselt.«
Beatrice merkte wohl, dass Maffeo vor Verlegenheit die Röte ins Gesicht schoss. Aber sollte er doch ein schlechtes Gewissen haben. Er hatte sie schließlich die ganze Zeit allein gelassen.
»Verzeih, ich hatte jedoch leider keine Gelegenheit…«
»Keine Gelegenheit?«, rief Beatrice aus. »Ich saß hier fest. Allein. Als ich freundlich sein wollte und Ming nach ihrem Namen fragte, sprang sie mir fast ins Gesicht. Ich weiß, Li Mu Bai hat mir Spaziergänge empfohlen. Aber kannst du mir mal sagen, wie ich spazieren gehen soll? Ich traue mich ja noch nicht einmal vor die Zimmertür, weil ich Angst habe. Ich habe Angst, dass ich mich verlaufen könnte oder jemanden hier tödlich beleidige, weil ich gegen irgendwelche obskuren Bräuche verstoßen habe.«
»Es tut mir leid, Beatrice. Wirklich. Aber…« Maffeo seufzte und hob hilflos die Schultern. »Ich hatte viel zu tun. Dschinkim bat mich, einige Dinge für ihn zu erledigen, die keinen Aufschub duldeten.«
Beatrice lehnte sich gegen den Schrank mit den vielen Schubladen und holte tief Luft. Allmählich begann ihre Wut zu verrauchen.
»Es tut mir auch leid«, sagte sie und strich sich das Haar aus der Stirn. »Ich habe wahrlich kein Recht, so mit dir zu reden. Ich bin dein Gast. Dafür sollte ich dir dankbar sein. Bin ich ja auch. Wenn du mich nicht bei dir aufgenommen hättest, wäre ich vermutlich tot – in der Steppe erfroren oder getötet von einem Mongolen, der mich für die Inkarnation des Bösen hält.«
»Du meinst Dschinkim?« Maffeo lächelte. »Vor Dschinkim brauchst du dich nicht zu fürchten. Er ist ein kluger, gottesfürchtiger Mann. Niemals würde er einen Menschen ohne Not töten.«
Beatrice lachte auf. »Tatsächlich? In der kurzen Zeit, die ich ihm gegenüberstand, habe ich einen ganz anderen Eindruck von ihm gewonnen.«
Maffeo senkte verlegen den Blick. »Ich habe von diesem unerfreulichen Zwischenfall gehört. Dschinkim hat es mir erzählt. Trotzdem bitte ich dich um Nachsicht. Der große Khan wird morgen in Shangdou zurückerwartet. Die bevorstehende Ankunft seines Bruders macht Dschinkim Fremden gegenüber besonders misstrauisch. Er befürchtet einen Anschlag auf ihn.« Er seufzte. Von einem Augenblick zum nächsten wirkte er alt und müde. Dann fuhr er fort: »Gerne
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