Das Rätsel der Fatima
würde ich ihn als übervorsichtig bezeichnen, aber leider hat er recht. Der Mächtige versammelt nicht nur gehorsame Untertanen, sondern auch Widersacher um sich. Und Khubilai Khan ist mehr als nur mächtig, er ist der Beherrscher der Welt. Seine Feinde sind zahlreich. Und viele von ihnen verbergen ihr wahres Gesicht hinter der Maske der gehorsamen Untertanen.«
Maffeo nahm auf einem der beiden Stühle Platz und deutete auf den anderen.
»Setz dich, Beatrice. Wenn der Khan morgen hier in Shangdou eintrifft, will er alle Angehörigen des Hofs um sich versammelt sehen – und dazu gehörst jetzt auch du. Deshalb muss ich mit dir reden. Das Protokoll für die Ankunft und die Audienz beim großen Khan ist sehr streng und überaus kompliziert. Um Missverständnisse und Unannehmlichkeiten zu vermeiden, muss es genau eingehalten werden. Aber ich werde dir alles erklären, was du wissen musst, um den Unmut des Khans und die Aufmerksamkeit seiner Wachen nicht zu erregen.«
Beatrice seufzte. Das konnte ja heiter werden. Andererseits war es eine Abwechslung vom ansonsten mehr als eintönigen Alltag. Gehorsam setzte sie sich neben Maffeo und hörte aufmerksam zu.
7
Im folgenden Tag erlebte Beatrice eine Überraschung. Sie hatte gerade ihr Frühstück beendet und den letzten Schluck Tee getrunken, als vier Diener einen riesigen Zuber mit dampfendem Wasser in ihr Gemach schleppten. Zwei junge Mädchen folgten ihnen. Die eine trug zwei schwer aussehende Krüge, die andere einen großen Stapel Kleider. Hinter allen trippelte Ming her, kommandierte herum und deutete schließlich auf einen freien Platz im Raum, an dem die Diener den Zuber abstellten. Mit Verbeugungen verschwanden die vier Männer, und nur die jungen Mädchen und Ming blieben zurück.
»Guten Morgen«, sagte Beatrice und war so verblüfft über dieses Schauspiel, dass sie sogar vergaß, sich wie sonst über Mings mangelnde Höflichkeit zu ärgern. »Was hat das hier zu bedeuten?«
»Du sollst baden.«
»Ja, das sehe ich«, erwiderte Beatrice ruhig und beherrscht. »Hättest du trotzdem die außerordentliche Güte, mich darüber aufzuklären, weshalb ich ausgerechnet heute baden soll?«
»Khan kommt«, sagte Ming und sah Beatrice an, als wäre das bereits seit vielen Tagen überall verkündet worden. »Heute Abend findet Audienz statt, sogar du sollst teilnehmen. Nur so…« Sie betrachtete Beatrice geringschätzig. »Du kannst Herrscher nicht so unter die Augen treten.«
Beatrice biss sich auf die Zunge. Jetzt bloß nichts sagen, dachte sie. Es war nicht gut, gleich am frühen Morgen einen Streit vom Zaun zu brechen. Sie hatte das Gefühl, jeden Augenblick zu platzen. Dabei sollte man eigentlich meinen, dass sie sich bereits an Mings Arroganz gewöhnt hatte.
Die alte Chinesin gab dem jungen Mädchen mit den Krügen einen kurzen Befehl. Das Mädchen goss Wasser aus einem seiner Krüge in den Zuber, und Beatrice hoffte im Stillen, dass es sich um kaltes Wasser handelte. Denn den Dampfschwaden nach zu urteilen, die aus der Wanne aufstiegen, hatte ein Sadist sie mit kochendem Wasser gefüllt. Ming gab dem Mädchen ein Zeichen, prüfte mit der Hand die Wassertemperatur und nickte.
»Gut. Jetzt kannst du dich entkleiden.«
Sie half Beatrice beim Ausziehen. Sie hatten gerade das obere Nachtgewand abgelegt und öffneten die Bänder des Untergewands, als plötzlich wilde Schreie erklangen.
»Grundgütiger!«, rief Beatrice erschrocken aus. »Was ist denn…«
Doch jedes weitere Wort blieb ihr in der Kehle stecken. Voller Entsetzen sah sie, was geschehen war. Offensichtlich war das andere junge Mädchen gerade dabei gewesen, das Kohlenfeuer in einem der Eisenbecken neu zu schüren. Dabei musste ein Stück der glühenden Kohle herausgefallen sein und seine Kleidung in Brand gesteckt haben. Der dünne Stoff der weiten Baumwollhose hatte sofort Feuer gefangen. Schreiend vor Angst und Schmerzen warf sich das Mädchen auf den Boden und wälzte sich verzweifelt hin und her.
»Decken!«, rief Beatrice, nachdem die erste Schrecksekunde vorbei war und ihr Gehirn wieder normal funktionierte. »Wir brauchen Decken, um die Flammen zu ersticken.«
Sie stieß Ming zur Seite, die starr und ohne sich zu rühren das schreckliche Schauspiel beobachtete. Beatrice riss die Laken von ihrem Bett und begann auf das am Boden liegende Mädchen einzuschlagen. Immer wieder schlug sie mit der Decke zu, und nach einer Weile hatte sie es tatsächlich geschafft, die Flammen zu
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