Das Rätsel der Fatima
sie einen wilden Schrei. Das Wesen sprang zurück und brüllte vor Wut oder vor Schmerz. Marco und der Araber schrien ebenfalls. Beatrice hörte das Klirren von Waffen, die gegeneinander prallten, aber sie wagte nicht, die Augen zu öffnen. Der Kampf schien immer heftiger zu werden. Schließlich erklang ein markerschütterndes Gebrüll, das einem wütenden Fauchen wich. Das Fauchen wurde immer schwächer, als ob es sich entfernen würde, und endlich verstummte es ganz. Was auch immer gerade geschehen war, es war vorbei.
Leichte schnelle Schritte näherten sich ihr, jemand beugte sich über sie, nahm sie behutsam in seine Arme und tastete ihren Körper ab.
Noch bevor sie aufblickte, wusste sie, wer dieser Mann war. Selbst wenn ihr Körper sich nicht mehr an seine Umarmung erinnert hätte, so hätte ihn sein Duft verraten. Es war der Duft von Amber und Sandelholz, der ihn stets umgeben hatte wie ein leichter, wehender Mantel oder eine zweite Haut.
»Allah sei gepriesen, du lebst!«, sagte er mit einer Stimme, die ihr immer noch wohlige Schauer über den Rücken jagte.
»Saddin!«, rief sie überrascht und schlug die Augen auf. »Dies ist doch ein Traum! Was machst du denn hier?«
»Träume haben ihre eigenen Gesetze. Deshalb kam ich, um dich zu beschützen«, antwortete der Nomade und strich ihr leicht durch das Haar. Seine Lippen umspielte jenes Lächeln, das ihr einst in Buchara fast den Verstand geraubt hatte. Das sie beinahe dazu gebracht hatte, auf Knien um ihren Tod zu betteln.
Es war einmal… Saddin war wie ein Prinz aus einem dicken alten kostbaren Märchenbuch. Er gehörte der Vergangenheit an. Aber er hatte recht. Träume haben ihre eigenen Gesetze. Und das ist manchmal gut so. »Wie es scheint, kam ich gerade noch zur rechten Zeit. Es ist mir nur mit Mühe gelungen, die drei zu vertreiben.«
Beatrice setzte sich auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Ihre Stirn war feucht, und sie wusste nicht, ob es sich dabei um den Speichel des Ungeheuers handelte oder lediglich um ihren eigenen Angstschweiß.
»Was war das?«, fragte sie. »Dieses Ding sah aus wie ein Dämon…«
»Gar nicht so falsch geraten«, antwortete Saddin und stützte sich auf seinen schimmernden Säbel. In dieser Haltung erinnerte er Beatrice an die Darstellungen der Erzengel in Kirchen oder Religionsbüchern aus dem 19. Jahrhundert. Allerdings war er ein Engel mit schwarzen Haaren, der weißen Kleidung der Nomaden und einer nicht besonders frommen und unschuldigen Vergangenheit.
»Aber… Was wollte dieses Ding von mir?«
Saddin holte tief Luft. »Den Stein.«
»Aber…«
»Hör mir jetzt gut zu, Beatrice. Ganz gleich, ob dies nur ein Traum ist oder nicht, denke immer an meine Worte: Du musst auf der Hut sein. Diese drei Männer wollen dein Verderben. Sie wollen den Stein der Fatima in ihren Besitz bringen und sind bereit, alles dafür zu tun. Sei vorsichtig und wachsam. Denn sollte es einem von ihnen gelingen, den Stein in seine Hände zu bekommen…«
Er vollendete den Satz zwar nicht, aber seinem Gesicht war deutlich anzusehen, dass er an nichts Gutes dachte.
»Was wäre geschehen, wenn du nicht gekommen wärst?«, fragte sie.
»Willst du das wirklich wissen?«
Beatrice schluckte. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Nein. Es ist wohl besser, wenn du es für dich behältst.« Sie sah ihn an. »Warum bist du hier? Ich meine, es ist doch bestimmt kein Zufall, dass du ausgerechnet zur richtigen Zeit hier eingetroffen bist?«
»Du hast recht. Ich habe den Auftrag, dich zu beschützen.«
»Mich beschützen? Wer gab dir diesen Auftrag? Bist du also doch ein Engel?«
»Nun ja«, verlegen senkte Saddin den Blick, sein Gesicht überzog sich mit Röte. »Es ist nicht so, wie du vielleicht denkst. Außerdem solltest du nicht vergessen, dass du immer noch träumst.« Er erhob sich. »Ich werde in deiner Nähe bleiben und dich beschützen – dich, dein ungeborenes Kind und den Stein. Das verspreche ich dir. Aber trotzdem musst du auf der Hut sein. Die drei sind sehr gefährlich. Und sie werden es wieder versuchen. Immer wieder, bis sie ihr Ziel erreicht haben und der Stein ihnen gehört.«
»Aber was soll ich tun? Wie soll ich mich gegen sie wehren?«
»Vertraue ihnen nicht, egal wie schmeichelnd und schön ihre Worte auch klingen mögen. Und jetzt solltest du wieder aufwachen, denn ich darf nicht länger bleiben, und sie werden zurückkommen, sobald ich fort bin.« Saddin lehnte seine Stirn gegen ihre. »Vergiss nicht, ich
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