Das Rätsel der Fatima
Natürlich hat sie erkannt, dass wir sie nicht mehr unmittelbar um uns haben wollen. Aber da sie jetzt eine höhere Stellung einnimmt als zuvor, konnte sie sich noch nicht einmal darüber beschweren.«
»Hoffentlich lässt sie ihren Unmut jetzt nicht an den jungen Mädchen aus.«
Maffeo zuckte mit den Schultern. »Ich habe sie zwar davor gewarnt, doch es wird sich wohl trotzdem nicht vermeiden lassen. Sollte sie es aber zu bunt treiben, werde ich sie zur Verantwortung ziehen.« Er betrachtete Beatrice. »Gut, dass du bereits fertig angekleidet bist. Lo Han Chen und Li Mu Bai beginnen immer sehr früh mit ihrer Visite im Haus der Heilung. Und Dschinkim wird auch jeden Augenblick hier sein.«
»Dschinkim? Wieso…«
»Er hat darauf bestanden, dich zu begleiten.«
»Und wozu?«
Maffeo zuckte wieder mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Vielleicht will er sich davon überzeugen, dass alles nach den Wünschen des Kaisers verläuft, dass die Chinesen sich an seine Anweisungen halten oder dass im Haus der Heilung…«
»Er will uns nachspionieren, das ist es.«
»Nun…«
Beatrice verdrehte die Augen. »Immer nimmst du diesen Kerl in Schutz. Was glaubt er denn, was im Haus der Heilung geschehen wird? Dass ich gemeinsam mit den anderen Ärzten plane, ihn und seinen Bruder möglichst unauffällig aus dem Weg zu räumen?«
»Es ist nicht persönlich gemeint, Beatrice. Dschinkim ist nun mal… überaus misstrauisch. Ihm liegt das Wohlergehen seines Bruders eben sehr am Herzen.«
»Ja, natürlich. Das habe ich nun schon so oft gehört, dass es mir mittlerweile zum Hals heraushängt! Meiner Ansicht nach ist dieser Mann kein besorgter Bruder, sondern ein Fall für die Psychiatrie. Vielleicht sollten wir gleich bei der Visite mit ihm anfangen.«
Gerade als das letzte Wort verklungen war, stand Dschinkim in der Tür. Beatrice wollte ihn zurechtweisen, weil er ihr Zimmer ohne anzuklopfen betreten hatte, doch der Mongole starrte sie so finster an, dass sie vorsichtshalber doch nichts sagte. Hielt er nichts von der Idee seines Bruders, sie mit den anderen Ärzten im Haus der Heilung zusammenarbeiten zu lassen, oder hatte er etwa gehört, was sie über ihn gesagt hatte? Es war zwar unwahrscheinlich, dass er mit dem Wort »Psychiatrie« etwas anfangen konnte, aber er war nicht dumm.
»Fertig?«, fragte Dschinkim, und seine Stimme klang so zornig, dass Beatrice sicher war, dass er sie gehört hatte. Und er hatte sie verstanden. Der Kragen wurde ihr zu eng. »Dann lasst uns gehen.«
Das Haus der Heilung gehörte ebenfalls zum kaiserlichen Palast. Allerdings lag es am nördlichen, also von ihnen aus entgegengesetzten Ende. Deshalb hatte Beatrice ausreichend Gelegenheit, die ganze Anlage zu bewundern.
Sie gingen über großzügig angelegte, freie Plätze, die jeder deutschen Kleinstadt Ehre gemacht hätten, vorbei an unzähligen Gebäuden, von denen jedes eine bestimmte Aufgabe hatte, wie Maffeo Beatrice erklärte. So gab es zum Beispiel Häuser, die lediglich zu bestimmten Mahlzeiten oder Jahreszeiten aufgesucht werden sollten; Häuser, in denen die Kinder der kaiserlichen Familie ihren Mittagsschlaf hielten; Häuser für die Konkubinen des Kaisers, seine Söhne und Töchter.
Der kaiserliche Palast war also kein einzelnes, zusammenhängendes Gebäude, sondern im Grunde genommen eine von Mauern und Wehrtürmen umgebene Kleinstadt, mit den privaten Gemächern des Kaisers in ihrem Zentrum. Überall liefen Diener herum, die Kisten auspackten und Möbel schleppten. Und doch schien bereits vieles fertig zu sein, so dass Beatrice annahm, dass eine Menge Hände die Nacht durchgearbeitet hatten.
Dschinkim ging mit langen, schnellen Schritten vorneweg, als hinge sein Leben davon ab, rechtzeitig das Haus der Heilung zu erreichen. Beatrice hatte Mühe, dem Mongolen zu folgen, und schon nach kurzer Zeit war sie völlig außer Atem. Doch ein Seitenblick auf Maffeo sagte ihr, dass es dem alten Mann weitaus schlimmer erging, obwohl er versuchte, es zu verbergen. Er keuchte und röchelte, Schweißperlen standen auf seiner Stirn, und immer wieder, wenn er sich unbeobachtet glaubte, griff er sich an die linke Brust und verzog dabei das Gesicht, als ob er Schmerzen hätte.
Hoffentlich erreichen wir das Haus der Heilung überhaupt noch, dachte Beatrice und überlegte, was sie für Maffeo tun konnte. Da kam ihr die rettende Idee.
»He, Dschinkim!«, rief sie dem voranstürmenden Mongolen nach.
Er blieb stehen und drehte sich um. Selbst aus
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