Das Rätsel der Fatima
der Ferne konnte sie den finsteren Ausdruck auf seinem Gesicht erkennen.
Mein Gott, dachte Beatrice, hat dieser Mann eigentlich nur schlechte Laune?
»Was ist?«
»Geht es vielleicht ein bisschen langsamer?«, fragte Beatrice und gab sich diesmal keine Mühe, höflich zu sein. Dieser egozentrische, ständig mürrische Dschinkim ging ihr allmählich auf die Nerven. Er verdiente es nicht anders. »Vielleicht hast du es noch nicht bemerkt, aber ich bin kein Krieger. Außerdem erwarte ich ein Kind. Du solltest dein Schritttempo meinem anpassen. Es sei denn, du kannst es kaum erwarten, hier mitten auf dem Weg als Hebamme tätig zu werden.«
Beatrice konnte mit der Wirkung ihrer Worte zufrieden sein. Dschinkim wurde rot.
»Gut, wenn es unbedingt sein muss, werde ich langsamer gehen«, sagte er und wandte sich wieder ab.
Beatrice seufzte. Sie hatte es zwar nicht erwartet, aber trotzdem wäre eine Entschuldigung angebracht gewesen. Wer auch immer diesen Mann erzogen hatte, derjenige hatte in manchen Aspekten kläglich versagt.
»Danke«, flüsterte Maffeo Beatrice zu, als sie ihren Weg, diesmal in angenehmerem Tempo, fortsetzten. »Aber woher wusstest du…«
»Ich bin Ärztin. Schon vergessen? Doch du solltest unbedingt etwas unternehmen, Maffeo. Du bist krank und…«
»Nein, es ist nichts«, wehrte Maffeo ab. »Die Reise war ein wenig anstrengend. Außerdem musste ich noch wichtige geschäftliche Angelegenheiten regeln und habe deshalb letzte Nacht nicht viel geschlafen. Ich gebe es zwar nur ungern zu, aber ich bin nicht mehr der Jüngste. Ein Dauerlauf ist nichts mehr für mich. Alles was ich jetzt brauche, ist eine Pause, damit ich wieder zu Atem komme. Während du mit den anderen Ärzten im Haus der Heilung sprichst, werde ich mich in den Garten setzen. Vielleicht werde ich sogar ein Nickerchen machen. Und du wirst sehen, wenn du fertig bist, werde ich Dschinkim hinter mir zurücklassen.«
Er lächelte. Aber das Lächeln war gequält, und sein Gesicht hatte eine graue, ungesunde Farbe.
Mir kannst du nichts vormachen, alter Freund. Ich wette hundert zu eins, dass es das Herz ist, dachte Beatrice besorgt.
Allen Anzeichen nach zu urteilen hatte Maffeo einen Anfall von Angina pectoris. Vielleicht stand er sogar kurz vor einem Herzinfarkt. Aber wie sollte sie ihn dazu bringen, sich untersuchen und behandeln zu lassen? Abgesehen davon, was konnte sie hier überhaupt tun? In Buchara wäre es anders gewesen. Dort wusste sie, das Ali Weißdorn in seinem Kräuterschrank aufbewahrte, aus dem sie mit seiner Hilfe einen Tee und eine Herzsalbe hätte herstellen können, um wenigstens eine Linderung der Beschwerden zu erreichen. Aber welche medizinischen Möglichkeiten hatten die Chinesen?
Ich sollte mit Li Mu Bai sprechen, dachte Beatrice. Ihm scheint Maffeo zu vertrauen.
Vielleicht konnte der Mönch ihn zu einer Therapie überreden. Selbst wenn die Akupunkturnadeln lediglich einen entspannenden Effekt haben würden und an dem Herzleiden selbst nichts ändern konnten, es war immer noch besser, als gar nichts zu tun.
Wenig später erreichten sie das Haus der Heilung, einen niedrigen, rechteckigen Bau. Das pagodenförmige Dach war mit rot lackierten Ziegeln gedeckt. Das Einzige, wie Beatrice feststellte, denn alle anderen Dächer des Palastes waren blau. Die Hauswände und die Säulen waren rot gestrichen und mit bunten Friesen unter dem Dachfirst und an den Pfosten des Haupteingangs geschmückt. Die farbenfrohen Figuren in Blau, Grün und leuchtendem Orange stellten die typischen chinesischen Drachen, aber auch Früchte und merkwürdige schlanke Insekten mit schmalen Flügeln und langen Fühlern dar.
»Das sind Pfirsiche«, erklärte Maffeo, als Beatrice ihn danach fragte. »Pfirsiche und Zikaden. Für die Chinesen sind sie seit alter Zeit ein Symbol der Langlebigkeit und der Gesundheit.«
Offensichtlich wurden sie bereits erwartet, denn kaum hatten sie das Innere des Hauses betreten, als ihnen auch schon ein Junge entgegenlief. Er war Chinese, höchstens zwölf Jahre alt und so mager, dass seine weiten Gewänder um ihn herum schlotterten wie die Kleider einer Vogelscheuche. Der Junge legte beide Hände aneinander und verneigte sich.
»Seid willkommen, edler Dschinkim, Bruder und Thronfolger des großen Khubilai Khans«, sagte er in so gebrochenem Mongolisch, dass es sogar Beatrice auffiel. »Mögen die Götter Euch segnen und Euch ein langes, erfülltes Leben schenken.«
»Schon gut, schon gut«, erwiderte
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