Das Raetsel der Liebe
unübersichtlichen Getümmel. Irgendwie war es seinem Bruder gelungen, ihn zu finden, und nun bahnten sie sich gemeinsam ihren Weg durch das Chaos. Sie brachten Menschen zurück in die Büroräume entlang der Flure des großen Gebäudes, riefen anderen zu, nach drinnen zu gehen, sich einzuschließen und die Rollläden herunterzulassen.
Einige Stunden später hatte sich der Mob zerstreut. Zurück blieb ein Bild der Verwüstung. Die Straße war übersät mit Glasscherben und Holzsplittern, zwischen Haufen von Schutt und Abfall lagen zerstörte Fuhrwerke. Allmählich kehrte Stille ein, und Finsternis senkte sich auf die Szene herab wie eine schwere Decke.
Alexander fuhr sich mit der Hand über das zerkratzte Gesicht, während er mit Sebastian zurück nach St. Martin’s Hall ging. Furcht schnürte ihm das Herz zusammen, als er die Treppe hinaufstieg, um Lydia und Jane abzuholen. Die beiden saßen immer noch eng umschlungen in der Ecke neben dem Kamin. Sie waren blass, schienen ansonsten aber unverletzt zu sein.
Erleichterung und Dankbarkeit erfüllten Alexander und vertrieben die Erschöpfung. Er nahm Jane auf den Arm, während Sebastian Lydia beim Aufstehen half. Dann gingen sie zusammen ins Erdgeschoss hinunter.
»Oh, Alexander«, flüsterte Lydia bestürzt, als sie die zerstörte Ausstellung sah.
Draußen trieben sich immer noch ein paar Leute herum, doch die Polizei hatte die öffentliche Ordnung wiederhergestellt und den Eingang zur Halle abgesperrt. Alexander, der auf einem Arm immer noch Jane hielt, zog mit dem anderen Lydia an sich. Als er sie spürte, ließ der Druck, der auf seinem Herzen lastete, etwas nach.
»Lord Northwood.« Sir George Cooke, Mitglied des Kuratoriums der Society, schritt mit düsterer Miene auf ihn zu. »Die Polizei ist bereits auf dem Weg in die Mount Street. Sie treffen den Inspektor am besten dort. Hadley kommt ebenfalls hin.« Also begaben sie sich in Begleitung von Sir George in Alexanders Stadthaus, wo die Dienerschaft bei ihrem Eintreffen in hektische Aktivitäten ausbrach. Ein Arzt musste gerufen, warmes Wasser bereitet, frische Kleidung gebracht, Tee und Brandy serviert werden. Lydia schickte Jane nach oben und bat die Haushälterin, ihrer Tochter Gesellschaft zu leisten, während sie auf die Ankunft des Doktors wartete.
»Vorläufige Berichte deuten darauf hin, Lord Northwood, dass Sie für den Aufruhr verantwortlich sind.« Inspektor Denison blickte Alexander durchdringend, jedoch mit einem leichten Ausdruck von Mitgefühl an.
»Welcher«, ergänzte Lord Hadley, »nicht nur die Einrichtung von St. Martin’s Hall, sondern auch die Ausstellung der Society vollkommen zerstört hat. Wir werden die Leihgeber und die ausländischen Gesandten unterrichten müssen.«
Angesichts des unheilschwangeren Untertons in Hadleys Stimme bemühte Alexander sich redlich, eine gewisse Besorgnis in sich aufkommen zu lassen, doch er war einfach zu erschöpft. Er rieb sich die brennenden Augen.
»Und?«
»Wir müssen eine Untersuchung einleiten, Mylord«, erwiderte Denison. »Uns liegen die Aussagen mehrerer Zeugen vor, die Ihre Auseinandersetzung mit Mister – er warf einen kurzen Blick in sein Notizbuch – Cole beobachtet haben. Sie haben gesehen, wie Sie ihn durch das Geländer stießen.«
»Nein«, widersprach Lydia mit gepresster Stimme. »Nein, Inspektor, das ist nicht korrekt. Dieser Mann war … er war hinter meiner Schwester her. Lord Northwood hat uns beide beschützt. Er wollte –«
»Im Augenblick besteht keine Notwendigkeit, Lord Northwood zu verteidigen, Miss Kellaway«, unterbrach Denison sie. »Die Untersuchung wird weitere Details zutage fördern. Gleichwohl muss ich Sie warnen: Zeitungsreporter werden überall nach Leuten suchen, die scharf darauf sind, ihre Sicht der Ereignisse zu schildern, und diese Berichte werden kein gutes Licht auf Seine Lordschaft werfen, fürchte ich.«
»Wird man Anklage erheben, Inspektor?«, fragte Sebastian.
»Das kann ich derzeit nicht sagen, Sir. Zunächst einmal muss die Natur des Aufruhrs festgestellt werden. Ist er auf Fehlverhalten zurückzuführen oder handelt es sich möglicherweise um verräterische …«
»Verrat?«, wiederholte Lydia entrüstet.
»Nun, Miss, ich wollte nicht andeuten, dass so etwas hier der Fall sein könnte. Aber da ist der Krieg mit Russland, und Lord Northwood … nun ja … einige der Arbeiter meinten, er hege Sympathien für den Zaren.«
»Und wie wir wissen«, fügte Sir George hinzu, »ist dieser
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